Mittwoch, 15. Juli 2015

BWK: Virtuelles Museum


Vorüberlegungen zu einem virtuellen BWK-Museum:




Ein digitaler Lernort mit sozialer Bodenhaftung 


Der Förderverein Kämmereimuseum plant ein „digitales“ Museum, das ein „außerschulischer Lernort“ sein soll. Diese Begriffe sind inhaltlich bisher wenig festgelegt. Daher sollen hier mögliche Konkretisierungen aufgezeigt werden, wie auf der Grundlage der digitalisierten Materialien des Vereins Fragen aus dem Bereich „Schafe – Wolle – Mode“ erarbeitet und beanwortet werden können.

Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf ein ergänzendes Mitmach-Museum, in dem die Besucher selbst sinnliche Erfahrungen mit der Verarbeitung von Rohwolle machen und Einblicke in das Schaffen von Kunsthandwerkern gewinnen können, die das Material Wolle verwenden.




Damit könnte das BWK-Museum in Blumenthal eine Einheit aus einem Erinnerungs-, einem virtuellen und einem Mitmach-Bereich werden, die sich gegenseitig ergänzen und den Erwartungen zahlreicher potenzieller Besucher entsprechen.



                                        BWK-Sortiergebäude 43/44 (Quelle: Förderverein)



Museen als Räume für lebenslanges Lernen


Sammlungen „materieller Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt“, die „beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt gemacht und ausgestellt“ werden, also die Institutionen, die man üblicherweise Museen nennt, sind einem erheblichen Legitimationsdruck ausgesetzt, wenn sie nicht über einen großzügigen Sponsor oder Mäzen verfügen.

In Zeiten leerer öffentlicher Kassen und einer Vielzahl anderer Aufgaben, die ebenfalls Steuergelder erfordern, können sie sich nicht auf die Patina oder auch den Staub einer langen Tradition verlassen, sondern müssen ihre Ausgaben für die Gebäude, das Personal sowie aktuelle Ausstellungen und ein modernes Marketing rechtfertigen und begründen. Dazu ist es erforderlich, ihre Leistungen für die Gesellschaft herauszustellen. Dabei können sie sich nicht mehr ausschließlich auf die Highlights einmaliger Sammlungen verlassen, die einem bekannten Museum früher bereits eine Bestandsgarantie verschaffen. Auch die positiven Urteile von Museumsfachleuten sind nicht vorrangig gefragt, sondern mehr und mehr werden die Besucherzahlen herangezogen. Museen müssen sich daher darum bemühen, die Erwartungen und Wünsche potenzieller Besucher zu erkennen und ihre Sammlung, vor allem jedoch die Vermittlungsarbeit entsprechend auszurichten. Es reicht daher nicht mehr, sich auf die eigene Tradition oder die Einmaligkeit einzelner Exponate zu verlassen.

Daher erhält zumindest aus der Sicht der Öffentlichkeit seit den 1970_er Jahren die Museumspädagogik einen wachsenden Stellenwert, da die „Aura des historischen und künstlerischen Originals“ (Paatsch) in der Regel nicht für sich selbst spricht, sondern die meisten Museumsbesucher eine didaktische Unterstützung benötigen, um Exponate beurteilen und einordnen zu können.

Damit wurde das Museum als Lernort entdeckt, für den nach und nach eine Reihe von didaktischen Methoden entwickelt wurden, die sich mehr oder weniger eng an die Schul- und Erwachsenenpädagogik anlehnen. Das zeigt exemplarisch der Versuch, die klassische Museumsführung als ‘Frontalunterricht im Gehen’ zu kennzeichnen und durch neue interaktive Formen der Vermittlung zu ergänzen und zu ersetzen. Das führte auch zu einer veränderten Sicht der Exponate, die nicht mehr als einmalige Kunstwerke oder Raritäten verehrt wurden, sondern von ihrem hohen Podest gerückt und sich einer Diskussion mit den Besuchern stellen mussten, die nicht in jedem Fall besonders sachkundig ist. Die Museumsmitarbeiter konnten bei dieser Entwicklung der Museen von Musentempeln zu profanen Lernorten nicht selten erstaunt feststellen, dass der Durchschnittsbesucher eine Reihe grundlegender Lernsequenzen benötigt.


Um diese Defizite zu schließen, wird daher beispielsweise im Bremer Focke-Museum (Hohlfeld) ein Mediaguide zur Verfügung gestellt, über den die Besucher entsprechend ihren Vorkenntnissen und Interessen Zusatzinformationen abrufen können. Auch hat man Eigenaktivitäten der Besucher in das Vermittlungsprogramm aufgenommen. Daher kann man etwa im Anschluss an das Thema „Bremen im Mittelalter“ auf Wachstafeln schreiben, Stadtsiegel gießen und Pilgerzeichen herstellen.



                                            Focke-Museum in Bremen


Speziell für Kinder und Jugendliche wird seit 2003 mit „Fockes Labor“ ein Experimentierraum angeboten, in dem selbständig und spielerisch an Originalen wie mittelalterlichen Keramikfragmenten, archäologischen Knochenfunden, historische Münzen und typischen Möbelhölzern geforscht werden kann. Dabei gilt die für Museen nicht gerade selbstverständliche Aufforderung: Bitte berühren! Die Ergebnisse dieser praktischen Untersuchungsarbeiten, also etwa restaurierte Keramikscherben oder mit Stempel und Hammer geprägte Münzen können anschließend mitgenommen werden.

Ein weiterer eigener Aktionsraum steht mit dem Studio Focke zur Verfügung, in dem man Puppen basteln und Puppenspiele aufführen, technische Anlagen mit Stabilbaukästen oder Legosteinen konstruieren, mit Sichttelegraphen und Morseapparaten kommunizieren und selbstkonstruierte und programmierte Roboter einsetzen kann.

Damit ist das Museum also heute nicht mehr eine Ausstellungsfläche für einmalige Exponate, sondern ein Raum, in dem die Besucher entsprechend ihren jeweiligen Präferenzen forschen und lernen können
.


Die Herausforderungen des Internetzeitalters



Mehr und mehr haben die Museen inzwischen sogar das Monopol für einen Blick auf ihre Exponate verloren. Zumindest im Bereich der Kunstmuseen zeigt das google-Unternehmen „Art Project“ die Möglichkeiten des Internets im musealen Bereich. Dieses Internetangebot stellt seit dem 1. Februar 2011 die Exponate bekannter Kunstmuseen ins Netz. Inzwischen beteiligen sich daran der 325 Museen vom Akropolis-Museum in Athen bis zum Museum of Modern Art (MoMa) in New York.


Einen visuellen Überlick gibt ein youtube-Video: ww.youtube.com/user/GoogleArtProject


                                                                

Auf diese Weise kann man heute beispielsweise Rembrandts „Nachtwache“,
Botticellis „Geburt der Venus“ oder Raphaels „Sixtinische Madonna“ in aller Ruhe auf einem Monitor überall dort betrachten, wo man dazu Muße und Lust hat. Und das alles ist ohne lange Anreise und ein störendes Gedränge vor den Gemälden möglich, ja, man kann sogar die Werke desselben Künstlers oder eines Themenbereichs vergleichen, auch wenn sie sich in Museen befinden, die Tausende Kilometer von einander entfernt sind. Man muss also auf diese Möglichkeiten nicht mehr warten, bis vielleicht ein einziges Mal während des eigenen Lebens eine lange vorbereitete Sonderausstellung eine solche Synopse ermöglicht.


Diese Euphorie über das virtuelle Museum ist dabei durchaus gerechtfertigt, auch wenn Bücher oder Videos prinzipiell ähnliche Vergleiche ermöglichen. In diesen Fällen hat jedoch die google-Webseite mit ihrem virtuellen Angebot zumindest rein technische Vorteile, da aufgrund der Zoomfunktion die Maltechnik erheblich besser analysiert werden kann als beim Original. So hat der Direktor der eingeräumt, dass auf diese Weise sogar bisher unbekannte Details eines Gemäldes entdecken lassen.

Virtuelle Gemäldesammlungen bieten zudem noch einen Vorteil, dass sie jedem Kunstfreund eine Freude machen können, die sich sonst nicht einmal Milliardäre erfüllen kann. Man kann seine Lieblingsbilder in einem eigenen virtuellen Museum aufhängen und sie sich immer dann ansehen, wann man es gerade möchte. Und das ohne Anschaffungs- und Versicherungskosten und vor allem die Ängste vor Kunsträubern. Auch kann man diese Privatsammlungen anderen zeigen und damit etwas über die eigenen Kunstpräferenzen preisgeben

Diese virtuellen Kunstmuseen haben verständlicherweise zu einer breiten Diskussion der Vor- und Nachteile der klassischen Museen geführt, die voller Stolz bisher auf ihre einmaligen Schätze geführt. Die Vertreter der Kunstmuseen haben daher zwar die Qualität der extrem hochauflösenden Reproduktionen bewundert, aber gleichzeitig darauf verwiesen, dass das direkte, dreidimensionale Erleben der Kunstwerke damit nicht vergleichbar sei.


So sehen es die Fachleute. Für viele Besucher realer Museen können jedoch virtuelle Ausstellungen ebenfalls das Erleben realer Kunstsammlungen nicht ersetzen, wobei hier auch die Vorbereitung und der Gang durch die Ausstellungen mit allem Drum und Dran als Einheit gesehen und beurteilt wird. Das ist etwas anderes und für viele ein wichtiges Mehr gegenüber einem komfortablen Blick auf einen Monitor, der die detaillierte Betrachtung einmaliger Kunstwerke rasch jederzeit ermöglicht und damit zu einem beliebigen Alltagsereignis macht.

Diese Beurteilung lässt sich auch durchaus erklären, wenn man den Besuch eines Museums als in besonderes Event sieht. Dann handelt es sich um eine „einzigartige Mischung aus Bilden und Genießen“, wobei sich in einem Museum „Wissen und Vergnügen“ besonders nahekommen. Das kann dann kein „flüchtiger Elektroimpuls“ ersetzen, weil er „die Sehnsucht nach Orten des Bleibens, nach Orten“ nicht stillen kann, „an denen die Dinge noch als Dinge zu besichtigen sind, ganz handfest, real und authentisch.“ (Rauterberg)

Dieses Aussage über das Erleben von realer Kunst gilt, wenn auch vermutlich weniger ausgeprägt, für andere Museen, wie in einer Untersuchung über Freilichtmuseen festgestellt wurde. Hier erlebt das Publikum seinen Besuch als eine eine ausgesprochene Freizeitaktivität und möchte „Einen schönen Tag verbringen!“ (Paatsch)

Für die Besucher ist daher der Gedanke der lebenslangen Lebens, wie es die Museumspädagogik versteht, ein Motiv, das nicht an erster Stelle steht. Museen, die ihren Besuchern etwas bieten wollen, müssen daher Lernorte sein, an denen die Besucher nicht nur Fragen beantwortet erhalten und sich in Themenbereiche einarbeiten können, sondern auch etwas Besonderes und Erzählenswertes erleben. Dabei dürfte sich die Art des eindrucksvollen Erlebnisses von den jeweiligen Erwartungen der einzelnen Besucher abhängen. So kann es für den einen die durch Fotos aufgefrischte Erinnerung an das vergangene Arbeitsleben, für andere die Lösung spannender offener Fragen über die aktuelle Entwicklung auf dem Wollmarkt sein die kreative Arbeit mit Wolle sein und für wieder andere ein gelungenes Gesamtangebot verschiedener musealer Teilbereiche .



Das Kämmereimuseum Blumenthal: eine Einheit aus drei musealen Zugängen


Eine Neugründung wie sie ein Blumenthaler Kämmereimuseum darstellt, hat einen großen Vorteil. Sie kann ohne den Ballast einer musealen Vergangenheit starten und ein Konzept entwickeln und umsetzen, das den aktuellen Überlegungen zu Museen im medialen Zeitalter gerecht wird.

Dabei muss man sich auch nicht von einem Fundus leiten lassen, der allein aufgrund seiner Einzigartigkeit eine herausragende Präsentation verlangt und damit alle weiteren Detailentscheidungen beeinflusst.

Das ist in Blumenthal nicht der Fall, wo man zwar auch von den vorhandenen Exponaten ausgehen muss, die sich allerdings ohne große Einbußen bei ihrer Authentizität digitalisieren lassen, was auch bereits größtenteils Geschehen ist. Das Museum kann sich daher vor allem im Hinblick auf zukünftige Besucher und deren Interessen orientieren.

Dabei lassen aufgrund der bisherigen Arbeit des Fördervereins und den empirischen Ergebnissen von Untersuchungen über die Präferenzen heutiger Museumsbesucher drei unterschiedliche Zugänge herausstellen, die jedoch keineswegs isoliert nebeneinander stehen, sondern sich vielmehr sinnvoll ergänzen.

Die bisherigen Besucher der Sonderausstellungen und Präsentationen, die der Förderverein Kämmereimuseum bereits veranstaltet hat, wollten vor allem ihre Erinnerung an die BWK-Zeit auffrischen und sich darüber informieren, was aus alten Gebäudeteilen inzwischen geworden ist. Man kann daher von einem Erinnerungsmuseum sprechen, dessen Adressaten man vor allem in der Region Bremen Nord, aber auch auf der gegenüberliegenden Seite der Weser findet. Dabei steht die Beschreibung einzelner Ereignisse und ehemaliger BWK-Mitarbeiter im Mittelpunkt des Interesses.


Diese Deskription von Details begrenzt damit das Angebot. Generelle Zusammenhänge, die damit auch die Erinnerungen in einem allgemeineren Hintergrund sehen, kann ein virtuelles Museum herausstellen, das auf dem digitalisierten Fundus aus der BWK-Geschichte aufbaut, aber gleichzeitig die vielfältigen Möglichkeiten des Internets nutzt. Dadurch lassen sich, wie hier im Einzelnen dargestellt werden sollen, Themenbereiche erarbeiten, die einerseits für das Verständnis der Geschichte und des Endes der Bremer Woll-Kämmerei von Bedeutung sind, andererseits jedoch auch so allgemein sein können, dass sie für einen erheblich weiteren Nutzerkreis von Interesse sein können.

Die Leistung eines derartigen virtuellen Museums besteht in seinem einzigartigen Informationsangebot, die allerdings auch deutliche Grenzen besitzt. Der Nutzer kann sich zwar viel Wissen über Schafe, Wolle und Mode dank der Unterstützung durch das Museum erarbeiten, aber er kann damit noch nicht mit allen seinen Sinnen erleben, wie Rohwolle gewaschen, kardiert und gekämmt wird bzw. wie man aus Rohwolle Gebrauchsgegenstände oder auch kleine Kunstwerke herstellen kann. Dazu ist ein Mitmach-Museum als dritter Teil des Kämmereimuseums erforderlich, indem die Besucher die einzelnen Arbeitsschritte mit dem entsprechenden Handwerkszeug, das vom Museum zur Verfügung gestellt wird, selbst ausführen können.

Auf diese Weise kann ein Museumsbesuch zu einem Erlebnis werden, wenn man sich selbst ein kleines Souvenir als Erinnerung herstellen kann.

Ähnlich wie die beiden anderen Teile des Museums muss es sich dabei jedoch nicht um eine eher einmalige Möglichkeit handeln. So wie man im virtuellen Bereich nach und nach verschiedene Themenfelder bearbeiten kann, ist auch der Beginn eines kunsthandwerklichen Hobbys denkbar. Dazu können beispielsweise Kurse beitragen, in denen Interessierte verschiedene Formen der Wollbearbeitung erlernen und kreativ anwenden.

Einen Überblick über diese drei Teilbereiche eines Kämmereimuseums, das dem vorhandenen Fundus und den Anforderungen des Medienzeitalter gerecht wird, bietet die folgende tabellarische Darstellung. Darin stehen die unterschiedlichen Zielsetzungen der drei Zugänge im Vordergrund. Die gemeinsame Klamme ist dabei das Themenfeld Wolle und Wollverarbeitung, während die drei Tätigkeiten „erinnern“, „informieren“ und „bearbeiten“ die notwendige Ergänzung innerhalb eines einzigen Museums herausstellen.


Teilbereiche und Funktionen eines Blumenthaler Kämmereimuseums

Merkmale
Erinnerungs-
museum
Virtuelles
Museum
Mitmach-
museum
ExponateOriginale und Kopien und aus der BWK-ZeitDigitalisierte Exponate des Erinnerungs-museumsWerkzeuge und Maschinen für die Bearbeitung von Wolle
Umfang der SammlungVorhandener BestandErgänzung durch InternetangeboteVorhandener Bestand
Zentraler
Adressatenkreis
Ehemalige BWK-Mitarbeiter und ihre AngehörigenSchüler und Studenten, die sich mit den Themen Schafe, Wolle und Mode beschäftigenHandwerklich und künstlerisch am Arbeiten mit Wolle Interessierte
BesuchsmotivationAuffrischen von ErinnerungenRascher Zugang zu InformationenKreatives Arbeiten, soziale Kontakte
LernzieleWiedererkennen und Verstehen des eingetretenen WandelsAnalyse und Beurteilung von Zusammenhäng-en und ProblemenAnwenden der Werkzeuge bei der Wollbearbeitung



Teilbereiche und Funktionen eines Blumenthaler Kämmereimuseums



Das vom Förderverein Kämmereimuseum für Bumenthal geplante Museum will und kann keine Konkurrenz zu dem Industriemuseum im benachbarten Delmenhorst werden. Dafür fehlen allein bei den Exponaten die Voraussetzungen, da in Blumenthal keine größeren Maschinen der geschlossenen Kämmerei mehr vorhanden sind. Die modernen wurden nach China verkauft und transportiert, einige ältere dem Bremer Focke-Museum übergeben und einige alte Loks hat bereits die BWK-Geschäftsleitung, die ja keine spätere museale Nutzung im Auge haben konnte, an einige Interessenten verschenkt.

Das muss jedoch kein Nachteil sein, wenn anstelle eines klassischen Industriemuseums, das sich in Delmenhorst auf die Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei oder kürzer die Nordwolle konzentriert, ein alternatives Konzept tritt, das weniger auf imposante Objekte setzt, sondern moderne Medien intelligent nutzen will, um gezielt ein breiteres Publikum anzusprechen. Das gilt nicht nur für das ganz reale Industriemuseum in Delmenhorst, sondern auch für dessen ausführlichen Internetauftritt, für den ein Arbeitskreis Fabrikmuseum verantwortlich ist.


Der digitale Fundus 


Inzwischen verfügt der Förderverein bereits über einen Grundfundus an digitalen Angeboten, der stetig erweitert wird. Hierzu zählen:


- eine Sammlung von Fotos, zu denen teilweise Erläuterungen der Fotografen vorliegen
sowie von ca. 500 Schriftstücken, bei denen es sich vor allem um Zeitungsartikel handelt, 


- eine hochauflösende ScanDatei von 50 historischen Lageplänen, die der Verein als Gegenleistung vom Staatsarchiv erhalten hat, nachdem er die Originale dem Archiv zur sicheren Verwahrung übergeben hat,


Zeitzeugenbefragungen in Form narrativer Interviews, in denen vor allem ehemalige Beschäftigte von ihrem Arbeitsleben in der BWK erzählen, 



- eine vollständige Sammlung aller 62 Ausgaben der Werkszeitung "Sir Charles", die zwischen Ende 1986 und Mai 2005 erschienen sind, für die seit Ende 2012 auch ein Register vorliegt, das die Suche nach einzelnen Artikel bzw. Themen erleichtert.



- eine Sammlung von Geschäftsberichten der BWK, die gegenwärtig vervollständigt und digitalisiert wird. Diese Arbeit soll bis Ende 2014 abgeschlossen sein.


Diese Angebote sind bisher nur auf Anfrage zugänglich und könnten sowohl intern in einem virtuellen Museum benutzt werden als auch über das Internet abrufbar werden.

Dabei stellt sich die Frage der Kostenfreiheit, die vermutlich mit einem staatlichen Finanzier des Museums abgeklärt werden muss. Immerhin wird sogar von einer Aktionärsschutzvereinigung wie der SdK neben einem Mitgliedsbeitrag für den Abruf alter Geschäftsberichte, sofern sie nach 1999 veröffentlicht wurden, eine Gebühr von ca. 30 € für einen Monat erhoben.

Weiterhin liegen für die BWK zwei externe Archive vor, und zwar für Auszüge aus Geschäftsberichten und Artikeln der Wirtschaftspresse
 für den Zeitraum 1911 bis 1944 bei der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften sowie für die Versionen der alten Webseiten des Unternehmens beim Internet Archive.

Daneben besteht ein kostenfreier Internetzugang zu einer Sammlung von Artikeln zur BWK, in denen verschiedene Themenbereiche angesprochen werden. Dadurch wird auch versucht, einige umfangreiche und nicht immer ganz leicht lesbare Dokumente aus den Archiven für ein breiteres Publikum aufzuarbeiten.


Die Geschichte der BWK



01 Die Bremer Woll-Kämmerei (BWK). Gründung, Aufstieg und Siechtum eines weltumspannenden Wollkonzerns. Ein Überblick


02 Die BWK im Kaiserreich: Gute Dividenden, aber wenig publizierte Informationen 


03 Vor, in und zwischen den Weltkriegen: Die BWK im Kampf gegen Inflation, volatile Preise, Devisenmangel und Kriegsfolgen 

04 Die BWK in den Jahren des Wirtschaftswunders und der Rationalisierung. Die Jahre zwischen der Währungsreform und der ersten Nachkriegsrezession

05 Erfreuliche Erträge trotz DM-Aufwertungen, geringeren Lohnaufträgen und Konsumentenzurückhaltung. Die BWK in den 70_er und 80_er Jahren

06 Die BWK in der globalisierten Wollwirtschaft: Vom Blumenthaler Stammwerk zur BWK-Gruppe (1993 – 2000)

07 Schwarzer oder weißer Ritter? Die Elders-Jahre der BWK


08 Lieb, teuer und gefährlich: der Kämmereistandort Blumenthal. Kritische Fakten und die Sicht der Werkszeitung „Sir Charles“


Wirkung und Nachlass der BWK 



09 Blumenthal – ein fast siamesischer Zwilling der BWK

10 Innovative Sondermüllentsorger: Pfiffige Ideen oder Problemkinder der BWK?

11 Eine Herausforderung für die Städtebaukunst: Die Zukunft des Betriebsgeländes und der Gebäude der BWK


12 Die Werkszeitung Sir CharlesEin lebendiger Rückblick auf zwanzig Jahre BWK-Geschichte (1986-2005)

13  www.bwk-bremen: Vom Leben und Sterben der Bremer Woll-Kämmerei in den Weiten des Internets

Die museale Aufarbeitung der BWK-Geschichte


14 Die BWK und die Geschichte der Wollindustrie: real und museal 


15 „Dem Werk ein Denkmal setzen!“ Die ersten Jahre des Fördervereins Kämmereimuseum Blumenthal e. V.

16 Vorüberlegungen zu einem virtuellen BWK-Museum: Ein digitaler Lernort mit sozialer Bodenhaftung


Davon konnten die Beiträge 02, 04, 05 und 08 bisher noch nicht abgeschlossen werden, da zusätzliche notwendige Quellen fehlen. Dazu gehören vor allem einige weitere Geschäftsberichte.



Der Raumbedarf eines virtuellen BWK-Museums


Auch wenn heute riesige Mengen von Informationen auf fast unsichtbar kleinen Speichermedien Platz finden, benötigt auch ein virtuelles Museum Platz und Räume, denn schließlich sollen die Daten nicht nur archiviert werden. Vielmehr will und muss ein Kämmereimuseum an einem historischen Standort mehr sein als ein Server an einem beliebigen Standort irgendwo auf dem Globus. Es soll daher speziell die Bremer Woll-Kämmerei und die Schritte der Wollverarbeitung, durch die aus Rohwolle Kammzüge und anschließend Garn und Stoffe werden, auch erlebbar machen. Dafür reichen Monitior, auch wenn wenn sie qualitativ noch so gut ist, allein zumindest bisher noch nicht aus. Das Museum braucht daher eine ganz reale Ergänzung, um ihm zusätzlich eine lokale Bodenhaftung und einen praktischen Erfahrungsbereich zu geben.

Ergänzend zu den bisherigen Räumen, die vor allem für die Exponate aus der BWK-Zeit erforderlich sind, wie sie für ein klassisches Museum typisch sind, benötigt ein virtuelles Museum mit einem festen räumlichen Standort, wie es hier vorgeschlagen wird, einige zusätzliche Räumlichkeiten, die hier kurz beschrieben werden sollen.


Der BWK-Treffpunkt: Ein Platz für Erinnerungen und Gespräche


Eine gute Verbindung zwischen den Erwartungen, die vor allem die ehemaligen Mitarbeiter der BWK und ihre Kinder und Enkelkinder an ein Kämmereimuseum in Blumenthal richten, und neuen Besuchersegmenten, die durch die hier vorgestellte Ausrichtung des Museums zusätzlich angesprochen werden sollen, kann ein Eingangsbereich leisten, der als Treffpunkt gestaltet ist und möglicherweise vom Mobiliar her an das alte Betriebsrestaurant erinnert.

Denkbar ist eine offene Museums-Stube, in der sich noch lebende Mitarbeiter und andere Interessierte austauschen können und in der historische Geräte und Bilder an Blumenthals industrielle Vergangenheit erinnern. Auf diese Weise kann ohne Schwellenängste bei einem Kaffee oder Tee die Erinnerung im Kreis der Ehemaligen aufgefrischt und zugleich von den anwesenden BWK-Experten eine Einführung für neue Besucher übernommen werden.




                               Modell der Bremer Innenstadt im Focke-Museum


Dieser Eingangsbereich könnte auch ein guter Standort für ein Modell der BWK und zumindest der Teile Blumenthals sein, in der die Wollkämmerei ihre Werkswohnungen errichtet hatte. Besucher könnten dadurch vor ihrem Gang durch das Museum einen visuellen Überblick über die hier thematisierte Fabrikstadt an der Unterweser gewinnen.


                        BWK-Betriebsrestaurant 1998 (Quelle: Sir Charles (Förderverein))


Das Herz: Monitore für das digitales 
Recherchieren


Anders als in herkömmlichen Museen, wo Monitore mit einem breiten Datenfunds oder gar einem Zugang zum Internet eher ein Mauerblümchendasein fristen, stehen sie in einem virtuellen Museum im Mittelpunkt, da sie als wichtiges Angebot an Schulen, Arbeitsgruppen der Erwachsenenbildung und einzelne Interessierte gedacht sind. Hier sollen der digitalisierte Fundus des Vereins sowie ausgewählte Internetangebote leicht zugänglich sein und sich daher thematisch in einer angemessen Zeit aufarbeiten lassen.

Von der Größe her müsste daher Platz für Monitore sein, die es den Schülerinnen und Schülern eines Kurse der einer Kasse, die in einer Arbeitsgruppe ein Thema bearbeiten, zur Verfügung stehen. Wenn man von Gruppen von 3-5 Schülerinnen bzw. Schülern ausgeht, dürften daher etwa 7 bis 10 Monitore erforderlich sein.


              Monitore im Heinz-Nixdorf-Forum in Paderborn (Quelle: youtube)


Mediale Verbindungen: ein Raum für Vorträge, Videos und Filme 


Wie es inzwischen fast jedes Museum kennt, muss ein weiterer Raum für ganz reale Vorträge und die Vorführung von Filmen und Videos zur Verfügung stehen. Dieser Bedarf beginnt bereits bei der Begrüßung von Schulklassen, die eine kurze Einweisung benötigen, bevor sie ihre digitale Arbeit beginnen.



Eine ganz reale Ergänzung: konkrete Erfahrungen mit der Wollbearbeitung


Digitale Informationen können jedoch nicht die ganze Wirklichkeit einfangen. Sie müssen daher durch andere sinnliche Erfahrungen ergänzt werden, die weniger über die Augen laufen, sondern an denen stärker die Hände und der Tastsinn beteiligt sind. Die Wolle und ihre Verarbeitung ist schließlich auch ein Prozess, den Menschen seit Jahrtausenden als ein Handwerk erfahren haben.

De ganz realen Einblicke können Modelle von traditionellen Maschinen, wie man sie in einigen Textilmuseen findet, oder die eher handwerklich eingesetzte Geräte liefern, die einige Schaf- und Wollfreunde für ihre Hobbys verwenden, also Waschmaschinen und spezielle Wollkämme und Kardiergeräte. Eine Vorführung von verschiedenen Arbeitsgängen zeigt das youtube-Video "Handwerkliche Wollverarbeitung": www.youtube.com/watch?v=McSa0PKJtvk
                        
Wichtiges Anschauungsmaterial sind vor allem die Maschinen, die erst die industrielle Wollverarbeitung, wie sie nicht zuletzt de Bremer Woll-Kämmerei betrieben hat. Hierzu gehören der Leviathan als spezielle Wollwaschmaschine und die verschiedenen Versionen von Kammstühlen, wie sie u.a. von Cartwright, Lister und Holden entwickelt worden sind.

In einem stärker handwerklich ausgerichteter Bereich, in dem die tatsächliche Benutzung der Geräte im Vordergrund steht, können nach dem Waschen der Wolle das Kardieren und Kämmen erprob
t werden. Dabei dürften rasch der Zeitaufwand und die Mühe erkennbar werden, die eine handwerkliche Kammzugherstellung erfordert. Das kann einerseits zur Freude über die eigene handwerkliche Leistung, andererseits zu viel Verständnis für die Bedeutung einer industriellen Wollbearbeitung führen. Im youtube-Video "Herstellung eines Kammzugs" (www.youtube.com/watch?v=1rgRgm3a1ic ) bietet dazu eine visuelle Einführung.


Da gekämmte Wolle ein Zwischenprodukt darstellt, empfiehlt sich eine Ergänzung durch Werkzeuge bzw. Maschinen, die eine Weiterbearbeitung ermöglichen. Auf diese Weise können attraktive Souvenirs entstehen, die an einen Besuch in dem nicht nur virtuellen Museum erinnern.

Daher sollte man im Museum möglichst nicht nur färben, sondern auch spinnen und weben können.

Eine weitere Ergänzung können die Hilfsmittel für eine alternative Verarbeitung von Wolle darstellen, wie sie etwa beim Filzen erfolgt; denn gerade mit dieser Technik entsteht eine praktische Gebrauchskunst, die beispielsweise Schals, Hüte, Hausschuhe und bildliche Darstellung umfasst.



                                          Filzen von Wolle (Quelle: youtube)


Aufgrund der großen historischen Bedeutung sollte auch die Tuchmacherei, also das Walken von Wollstoffen, nicht vergessen werden.

Da inzwischen viele Hobbyschafhalter Schwierigkeiten haben, die in jedem Jahr anfallende Wolle zu verwerten, sollte sich Rohwolle relativ preiswert in der Nähe beschaffen lassen. Das dürfte für viele Zwecke ausreichen, auch wenn sich daraus keine besonders feinen Kammzüge herstellen lassen.




Ein virtuelles Kämmereimuseum als Lernort für die Themenfelder Schafe, Wolle und Mode



Was kann man von einem virtuellen Kämmereimuseum erwarten und was kann es wem bieten? 
Diese Fragen besitzen eine gewisse Brisanz, da sich das klassische Verständnis eines Museums nur schwer mit einer Reduktion von Exponaten auf deren Bilder auf einem Monitor verbinden lässt. 


Museen im Medienzeitalter



Museen sind zu Recht stolz darauf, wenn sie einzigartige Originale präsentieren können, die man nur in diesem Museum in ihrer richtigen Größe und Farbe wahrnehmen kann, während in dieser Hinsicht Bilder immer auch lügen oder zumindest falsche Eindrücke vermitteln können. Beispiels sind etwa die Enttäuschungen einiger Besucher, wenn sie die wahren Ausmaße berühmter Gemälde erstmals real vor sich sehen. Hier will ein virtuelles Kämmereimuseum nicht so etwas wie eine Gemäldegalerei sein, die nur Reproduktionen anbietet.

Diese Eindrücke und Erlebnisse sind zweifellos durch keine Übertragung im Internet zu ersetzen. Aber wie die Trends bei den Museen zeigen, genügt das Anschauen einzigartiger Exponate nicht jedem potenziellen Besucher. Sie wollen im heutigen Medienzeitalter, wenn man den Entwicklungen sogar in großen anerkannten Museen folgt, Videos sehen, in denen Zusammenhänge aufgezeigt werden. Auch möchten sie im klassischen Museum selbst oder in einer ähnlichen Einrichtung, die inzwischen auch häufig einen anderen Namen führt wie das Universum in Bremen, mithilfe von von Mitmach-Exponate selbst zum Forscher oder Anwender werden. Dazu reichen dann Demonstrationen alter Maschinen nicht aus, wie sie in vielen Textilmuseen bei Führungen angeboten werden. Vor allem jüngere Museumsbesucher wollen sich aktiv an einer musealen Wissenaneignung beteiligen und selbst etwas erproben, wie sie es vom heimischen Computer aus kennen.

Ein modernes Museum darf daher, wenn es neue und vor allem jüngere Besuchergruppen ansprechen will, den Gedanken eines Edutainments, also eines spielerischen und unterhaltsamen Lernens, nicht vernachlässigen.


Klassische und virtuelle Museen: ein Vergleich


Ein virtuelles Museum kann diesen Trend fortsetzen, in dem es weniger Gewicht auf imposante und einprägsame Originale legt, wie man sie etwa im Industriemuseum Delmenhorst mit dem Turbinenhaus findet.

Auch lässt sich bei einem großen Teil der Exponate, die zum Fundus des Fördervereins zählen, nur schwer die Grenze zwischen einem Original und Kopien ziehen, da es sich generell um Objekte handelt, die bereits ursprünglich in einer größeren Auflage erschienen sind. Das gilt etwa für die Ausgaben der Werkszeitung „Sir Charles“ und für die Geschäftsberichte, aber auch für die Fotos. In diesen Fällen dürfte der Unterschied zu digitalen Daten daher deutlich kleiner sein als der zwischen einer Bilddatei und der realen Mona Lisa im Louvre.

Im digitalen Museum soll wegen dieser relativen Bedeutungslosigkeit klassischer Originale der Informationswert im Vordergrund stehen. Das ist relativ leicht zu leisten, da in der Regel bei Geschäftsdokumenten und Zeitungsartikeln gute Kopien von der Lesbarkeit her zumindest gleichwertig mit einem Original sind. Ja, sie besitzen sogar einige Vorzüge, da man sie nicht nur vom Gilb befreien und aufhellen kann, sondern jeder Nutzer sie auch entsprechend seinen Wünschen ausdrucken, teilweise für Zitate kopieren und im Text beliebig nach seinem eigenen Schema Markierungen vornehmen kann. Der Text rückt damit erheblich näher an seinen Leser heran, der über ihn verfügen kann.

Das virtuelle Angebot macht so ein Museum von einer Einrichtung, in der sich Originale ansehen und bewundern lassen, zu einer geordneten Datensammlung, mit der man arbeiten kann. Dabei helfen die im Internet üblichen Suchmaschinen dabei, schnell das zu finden, was man sucht. Das virtuelle Angebot ist also fast ideal, wenn ein Nutzer rasch Fragen beantwortet haben möchte.

Aber nicht nur das. Das breite und tiefe Datenangebot, das die Vorzüge der heutigen Datenspeicherung nutzt, hat den Vorteil, das es nicht an die Grenzen der Museumsräumlichkeit gebunden ist. Daher steht neben der Geschwindigkeit beim Suchen der Umfang des Materials als weiterer Vorteil. So eignet sich ein virtuelles Museum auch für die breitere Beschäftigung mit einer Thematik aus dem Bereich, auf den das Museum zwar im Prinzip ausgerichtet ist, aber eben nur innerhalb der Grenzen seiner Sammlung. Ein virtuelles Museum, das die Chancen des Internets nutzt und ohne Skrupel auch mit Links zu fremden Webseiten arbeitet, kann daher wichtige Hilfestellungen bei Hausarbeiten, Referaten bis hin zu Bachelor- und Masterarbeiten sowie Dissertationen liefern.

Daneben kann selbstverständlich auch jeder davon profitieren, der sich für eine Thematik nur einfach interessiert.


Eine sinnliche Ergänzung: die Mitmach-Abteilung


Trotzdem fehlt diesem Typ von Museum eindeutig eine sinnliche Komponente, auch wenn klassische Museen auf diesem Gebiet auch nicht unbedingt viel zu bieten haben, da sich die teuren Exponate häufig hinter Glas befinden, durch Sperrzonen geschützt sind und so gut wie nie angefasst werden dürfen.

Das lässt sich jedoch grade in einem Bereich, dessen Objekt die Wolle ist, leicht ändern, da ihre Bearbeitung nicht nur in hoch modernen Industrieanlagen möglich ist, sondern daneben Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker mit relativ einfachen Geräten arbeiten, deren Funktionsweise sich relativ einfach nachvollziehen lässt. Ein Besucher kann so mit relativ einfachen und preiswerten Werkzeugen zu einem Wollbearbeiter werden, der damit die Wolle wirklich kennenlernt. 

Auch dürfte dieser Bereich andere Besuchersegmente ansprechen als die technischen Details der Wollbearbeitung oder ökonomische Fakten. Wie die Sozialdaten aus dem Bereich des Wollkunsthandwerks zeigen, findet man hier vor allem Künstlerinnen, die die Ergebnisse ihres Schaffens auf Woll- der Kunstgewerbemärkten an ein fast ausschließlich weibliches Publikum verkaufen. Man könnte so durch diese Museumsabteilung nicht nur zusätzliche Besucherinnen ansprechen. Vielmehr stellen die vorhandenen Werkzeuge auch eine Grundlage für die Durchführung entsprechende Kurse etwa im Rahmen der Volkshochschule dar; denn es muss schließlich nicht immer nur getöpfert werden.


Von der virtuellen Theorie zur praktischen Umsetzung


Damit sind wichtig Rahmenbedingungen für ein virtuelles Museum abgesteckt. Die Möglichkeiten des Kernbereichs, also der digitalen Datensammlung, sollen exemplarisch an einigen Themenbereichen aufgezeigt werden. Dabei erfolgt eine Anlehnung an die in Schulen üblichen Arbeitsblätter.

Die Gesamtthematik geht dabei über den räumlichen und sachlichen Bereich der BWK in Blumenthal und Geelong hinaus. Hier wird eine Wollkämmerei wie die BWK als Teil der internationalen Wollwirtschaft gesehen. Man muss sich daher mit dem Angebot an Rohwolle, also den Wollproduzenten und nicht zuletzt auch den Schafen beschäftigen, und der Nachfrage, also mit den Spinnereien und Webereien bis hin zu den Modeunternehmen und letztendlich den Konsumentinnen und Konsumenten.



Die Erarbeitung von Themenbereichen


Die hier vorgestellten Themenbereiche, die im Laufe der Zeit noch ergänzt werden können, haben verschiedene Funktionen. Einmal können sie aufzeigen, welche vielseitigen Fragestellungen angesprochen sind. Dabei kann man nicht nur sein Wissen erweitern, das man für die Schule braucht oder vielleicht in einer Quiz-Show einsetzen möchte.

Man muss hier nicht für die Schule lernen, sondern kann sein Wissen tatsächlich ganz praktisch im eigenen Leben verwenden. So werden Urlaubs- und Praktikumsmöglichkeiten auf Schäfereien und bei Wollproduzenten weltweit angesprochen, wird in die Geheimnisse des Wollhandels eingeführt, sodass man auch einmal versuchen kann, an den Wollpreiszyklen Geld zu verdienen, aber es wird auch auf Fragen des Tierschutzes bei der Schafhaltung und die Umweltprobleme eingegangen, die zunächst durch die riesigen Schafherden und später durch die Reinigung des Wollwaschwassers und beim Färben der Wolle entstehen.

Das wird vielleicht nicht alle Leser interessieren. Jedem kann es jedoch den Alltag erleichtern, wenn er etwas über die Vor- und Nachteile verschiedener Textilfasern lernen kann oder über die Beseitigung von Flecken auf Wollstoffen. Alles das ist hier zu finden, ohne das man erst sehr lange suchen muss.




Titel der Arbeits- oder Themenmaterialien

Exemplarisch sollen zunächst folgende Themen für eine Bearbeitung mithilfe der Information eins virtuellen Museums vorgestellt werden:

01 Schafe: biologisch und ethologisch

02 Lammfromm oder zickig: das Schaf und seine Eigenschaften in Sprache und Religion

03 Hirten: Einst Repräsentanten der Neolithischen Revolution, jetzt historische Attraktionen für Touristen

04 Schafe als Wirtschaftsfaktor: Vom Schäfer zum Wollproduzenten

05 Australien und seine sheep stations

06 Tierschützer im Kampf gegen Mulesing, Lebendexporte und das rituelle Schächten

07 Vom Vlies zum Stoff: Auf dem Weg zur industriellen Wollverarbeitung

08 Von der Rohwolle zum kreativen Produkt. Die Kunst der Wollhandwerker

09 Der Wollpreis: Auktionen, volatile Preise und ein Puffer

10 Die Revolution auf dem Wollmarkt: China und das Sterben der europäischen und australischen Wollverarbeiter

11 Wollkämmereien und Wollverarbeitung heute

12 Die Wolle im Wettbewerb mit anderen Textilfasern: Preise, Eigenschaften und Entwicklungen

13 Wolle und Umweltschutz. Die Gifte aus Wiederkäuermägen und von den Weiden der Welt

14 Mode mit und ohne Wolle: Die Stärken einer alten Naturfaser



Für die Erarbeitung dieser Themen, die nach einer kurzen Einführung aufgrund von Leitfragen erfolgen kann, werden unterschiedliche Literaturangebote vorgeschlagen. Dabei erhalten die Veröffentlichungen der BWK einen besonderen Stellenwert, wobei es sich neben den Ausgaben der Werkszeitung „Sir Charles“ vor allem um Beträge handelt, die früher auf den Webseiten des Unternehmens zu finden waren. 



Quellen:

Bretschneider, Katrin und Wagner, Anna, Lernort Museum, Seminararbeit, Uni Leipzig, Januar 2007.

Bundesverband Museumspädagogik e.V. (Hg.), Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit, 2008.

Deutscher Museumsbund e.V. und ICOM-Deutschland (Hg.), Standards für Museen, Kassel/ Berlin 2006.

Gibbs, KirstenSani, Margherita u.a. (Hg.), Lifelong Learning in Museums. A European Handbook, erweiterte deutsche Ausgabe der Originalversion, Ferrara 2007.

Hohlfeld, Margrit, Museumspädagogik in den Bremer Museen, Vorlage Nr. 134 für die Sitzung der Deputation für Kultur - städtisch - am 13.04.2010.

Kirst, Virginia und Schuldt, Rainer, Virtuelle Rundgänge. Google Art Project zeigt Kunst deutscher Museen, in: Welt vom 29.5.2013.

Kramer, Norbert, Museumspädagogik ungeliebtes Kind oder Zwilling? Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe Dortmund, o. J.

Mußmann, Olaf, Museumsentwicklung oder: Wie kommt Qualität ins Museum, in: Museum aktuell, Mai/ Juni 2003.

Nicholls, AnnPereira, Manuela und Sani, Margherita, Report 1 – The Virtual Museum. The Learning Museum Network Project, 2012.

Paatsch, Ulrich, Mehr als ein schöner Tag? Ausgewählte Ergebnisse der Besucherbefragungen in den baden-württembergischen Freilichtmuseen,
Referat vom 11.11.2011.

Rauterberg, Hanno, Forschung im Museum. Sammeln, sortieren, enträtseln, in: Die Zeit vom 2. 7. 2010.

Reißmann, Ole, Street View im Museum. Google startet Online-Galerie, Spiegel vom 1.2.2011.

Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Institut für Museumsforschung. Heft. 67. Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2012, Berlin 2013.

Sonntag, 12. Juli 2015

Textilfasern_1



Die Wolle im Wettbewerb mit anderen Textilfasern: 



Preise, Eigenschaften und Entwicklungen


1. Teil


Schafwolle ist zwar vermutlich die erste Textilfaser, die versponnen wurde und damit die zuvor benutzten Felle ersetzte, mit denen sich die frühen Menschen gegen die Unbilden der Natur schützten und dank deren Hilfe sie in Regionen der Erde vordringen konnten, die von ihrem Klima her nur bedingt als Lebensräume für den "nackten Affen", den Menschen, bewohnbar erscheinen. 

Allerdings blieb sie nicht die einzige Textilfaser, da ihre Produktion relativ teuer ist und ihre Eigenschaften nicht allen Verwendungswünschen entsprechen. Die Schafwolle hat daher im Laufe der Zeit ihre dominante Rolle zunächst an die preiswerteren Pflanzenfasern und vor allem die Baumwolle und später an die besonders vielseitigen Chemiefasern verloren. Wie das Kreisdiagramm veranschaulicht, konnten Ende der 1990-er Jahre die Chemiefasern insgesamt den Anteil der Baumwolle egalisieren.

Dennoch besitzen alle Textilfasern weiterhin ihre Vorzüge, sodass sie in spezielle Bereichen Verwendung finden. Dabei spielen heute vor allem Fasermischungen eine große Rolle, da sich auf diese Weise in vielen Fällen die Vorteile unterschiedlicher Fasern kombinieren lassen.


Anteil der Fasertypen an der Weltfaserproduktion Ende der 1990-er Jahre


Anteil der verschiedenen Textilfasern (Quelle: BWK-HV-Rede 1997 von Gerhard Harder, S. 4) 



Die botanischen Konkurrenten der Schafwollen


Die Wolle vor allem von Schafen ist eine alte tierische Textilfasern, die aufgrund ihrer Eigenschaften weiterhin bei anspruchsvoller Bekleidung konkurrenzfähig ist. Aber sie hat inzwischen eine Vielzahl von Wettbewerbern bekommen. Das sind einerseits die pflanzlichen Fasern mit der Baumwolle an der Spitze, andererseits jedoch vor allem die Chemiefasern, die mit immer neuen Eigenschaften auf den Markt drängen.

Im Folgenden sollen die Hauptkonkurrenten der Wolle angesprochen werden. Das sind zunächst einmal einige Pflanzen, unter denen vor allem der Flachs in Mitteleuropa eine wichtige Rolle gespielt, wovon noch heute die prachtvollen Paläste einiger Leinenhändler, Museen und Volksfeste einen Einruck vermitteln. Andere Pflanzen wie Hanf und Nessel haben daneben eine geringere Rolle gespielt und sind inzwischen weitgehend vergessen. Das gilt nicht für die Baumwolle, die allerdings fast ausschließlich als Rohstoff der Baumwollspinnereien und -webereien nach Deutschland gekommen ist, so das es hier keine handwerkliche Tradition etwa auf Bauernmärkten gibt. Ein Nischenprodukt war und ist schließlich die Seide, die besonders begehrt und prestigeträchtig ist, was die Chemiker auf der Suche nach neuen Faser besonders herausgefordert hat.


Die Pflanzenfasern als preiswerte Alternative zur Schafwolle


Nutzten bereits die frühen Jäger zumindest die Tier- und damit auch die Schaffelle, begann die Verwendung der Textilfasern erst mit den sesshaften Bauern. Dabei musste man - ganz anders als bei den genügsamen Schafen - feststellen, dass sich nicht alle Pflanzen, deren Fasern sich für die Textilherstellung eigenen, in jeder Klimazone der Erde anbauen lassen. So wächst die Schafwolle zwar praktisch überall auf dem Globus, ihre wichtigste pflanzliche Konkurrentin, die Baumwolle, jedoch nicht. Hier ist man in Deutschland generell auf Importe angewiesen, die zwar heute kein Problem mehr darstellen, aber die Baumwolle etwa noch zu Zeiten der Entdeckungen zu einem Luxusprodukt aus Indien machten.


Die mitteleuropäische Pflanzenwolle: Flachs/ Leinen


                     Blühendes Flachsfeld (Quelle: wikipedia)








                                      Gemeiner Leinen (Quelle: wikipedia












Die preiswerte pflanzliche Alternative war damit Leinen (linum usitatissimum) oder Flachs, der den Ägyptern schon vor 5000 Jahren bekannt war. Er ist damit eine der ältesten Nutzpflanzen. Dabei wurde er später im vorgeschichtlichen Mitteleuropa zunächst größtenteils wie Mohn als Ölpflanze verwendet.

Während der Samen zu Öl gepresst wird, gewinnt man die Flachsfaser aus dem Stängel, der zu 19 % bis 25 % aus dem gesuchten Fasermaterial besteht.

Wie der Stängelaufschnitt in der Skizze zeigt, findet man in der Rindenschicht, die von außen gesehen, auf die äußere Wachsschicht folgt,  
als Festigungsgewebe. Diese Bündel bestehen aus zehn bis 30 Zellen, die durch das Festigungsgewebe Sklerenchym Halt bekommen.

Für die Festigkeit des Stängels sorgt ein Fasergehalt von 9 % bis 25 %. Dadurch besteht das Material chemisch betrachtet zu zwei Dritteln Zellulose und zu 16 % aus Hemizellulose.  

                                                     
                          Querschnitt eines Flachsstängels

                                 Stängelaufschnitt eines Flachsstängels (Quelle: wikipedia)





 Der komplexe Faseraufschluss


Anders als bei der Schafwolle haben die Pflanzen ihre Fasern "versteckt", da sie von Natur her keine Bekleidungsfunktion besitzen wie bei den Tieren. Daher müssen die Fasern erst von anderen Pflanzenteilen getrennt werden, denen die notwendigen Eigenschaften für eine Verwendung in der Textilindustrie fehlen. Diese Arbeiten bezeichnet man als Faseraufschluss, der in ähnlicher Weise bei Flachs, Nessel und Hanf erfolgt, da hier die Fasern dem Stängel neben anderen Teilen, die für die Standfestigkeit sorgen, Elastizität in windigen Zeiten geben.


Neben der Trennung vom Samen, der beim Flachs zu Leinöl verarbeitet wird, sind dabei die sogenannte Röste, bei der eine gallertartige Masse, die man Pektine nennt, durch Mikroorganismen abgebaut wird, eine mechanische Trennung von Holzbestandteilen sowie eine Auslese der für das Verspinnen benötigten Langfasern erforderlich. Einige dieser Schritte ähneln damit dem Kardieren und Kämmen in einer Wollkämmerei.



Rösten, Brechen, Schwingen und Hecheln




Ein Nachteil der Flachsfasern etwa gegenüber der Baumwolle ist ihre aufwändige und damit teure Bearbeitung. Der
 erste Schritt besteht in der Abtrennung der Samenkapsel, die mit einem Riffelbrett erfolgt und daher riffeln genannt wird.

Anschließend müssen die Flachsstängel zunächst "geröstet" werden. Dabei werden die Pflanzenstängel auf dem Feld oder auf einer Wiese über mehrere Wochen ausgelegt. Durch die Taubildung wird in dieser Zeit die Entwicklung von Mikroorganismen begünstigt, die die Pektine, eine gallertbildende Substanz, auflösen

Dieser Prozess der Tauröste lässt sich auch im Wasser, also beispielsweise in Teichen, durchführen. Dann spricht man von einer Wasserröste. In beiden Fällen werden durch Mikroorganismen die benötigen Fasern aus den Flachsstängeln gelöst.

Anschließend sind weitere Arbeitsgänge erforderlich, um zu den für das Spinnen erforderlichen Langfasern zu gelangen. Nachdem die gerösteten Flachsstängel getrocknet sind, zerkleinert man den Holzkörper mit der Breche, wodurch die sogenannten Schäben entstehen. Dieser Prozess wird ebenfalls nach dem verwendeten Gerät brechen genannt.

Die abschließende Trennung der Kurz- und Langfasern erfolgt mit der Schwinge und wird entsprechend bezeichnet. Das nicht für das Spinnen geeignete Restprodukt heißt Werg.

Insgesamt erhält man nach diesen Bearbeitungsschritten nur 15% der ursprünglichen Stängelmasse als Langfasern.
 Diese reinigt man durch das Hecheln, sodass sie sich dann spinnen lassen. 

Bei diesem letzen Arbeitsschritt werden die Fasern durch die Hechel, die sich mit einem Kammstuhl bei der Wollverarbeitung vergleichen lässt, parallelisiert. Dabei erfolgt eine Trennung der für das Verspinnen geeigneten Langfasern vom Werg. 

Insgesamt dient heute die Produktion von Flachsfasern zu gut 60 % der Gewinnung von Langfasern. Diese Leinenfasern haben noch einen Marktanteil bei den Textilien von unter einem Prozent. Sie werden vor allem für die Bekleidung, aber auch zu Haushaltswäsche und Heimtextilien verarbeitet. Die restlichen 15 % dienen technischen Zwecken.

Aber auch die "Abfälle", also Schäben und Werg, werden genutzt. Werg kann zu Papier verarbeitet werden, findet allerdings ebenfalls in Polstermöbelfüllungen, Verbundwerkstoffen und Dämmstoffen Verwendung. 

Die Schäben verwendet man als Füllstoff in Pressspanplatten oder als Tiereinstreu.  


Die geografische Wanderung des Flachsanbaus


Das sind Details zu mühsamen handwerklichen Arbeiten in früheren Zeiten. Mehr Glanz und Unterhaltung bietet die Geschichte des Leinenanbaus und vor allem -handels in großen Teilen Europas. Hier war zunächst
im 12. und 13. Jahrhundert Süddeutschland führend. 
Anschließend konzentrierte sich der Anbau über Ostwestfalen auf die Lausitz und Schlesien. Damals trug die unscheinbare Pflanze mit ihren Geld schaffenden Stängeln zum Reichtum von Handelsdynastien wie denen der Sanders in Bramsche bei Osnabrück, der Woermanns in Bielefeld und nicht zuletzt den Brenninkmeyers in Mettingen bei, deren Geschäft im Textilwarenhauskonzern C & A weiterlebt.bei.  

Der Rohstoff, aus bereits teilweise aufgearbeiteten Vorprodukten oder auch das fertige Leinengewebe kamen in jenen Jahren von Bauernhöfen in vielen deutschen Anbaugebieten. Deutschland war dadurch im 12. und 13. Jahrhundert Deutschland der weltweit führende Flachsproduzent. 

Das hat sich im 18. Jahrhundert durch die Ausweitung des Flachsanbaus in Russland und dann im 19. Jahrhundert durch den Aufstieg der Baumwolle zur Nr. 1 unter den Pflanzenfasern grundlegend geändert. Der Vorteil der Baumwolle lag dabei in ihrem niedrigeren Preis und ihrer leichteren maschinellen Verarbeitung, womit die Herstellung von Baumwollgewebe ein wichtiger Teil der Industrialisierung wurde.


Geht man von der historischen Situation in Mitteleuropa aus, so war hier der Leinen über Jahrhunderte die wichtigste Textilfaser, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften die Wolle ergänzen konnte. Daran erinnern noch heute einige Städten, die auf ihre Tradition als Städte des Leinenhandels stolz sind. Das gilt etwa für das ostwestfälische Bielefeld, das sich gern als Leinenstadt bezeichnet und in dessen Nachbarschaft sich sogar eine breite Tradition an Textil- und Bekleidungsfirmen wie Ahlers AG, Brax (früher: Leineweber), bugatti, Gerry Weber International und Seidensticker, erhalten hat, die von hier aus heute ein internationales Geschäft betreiben. 

Als der Siegeszug der Baumwolle Mitte des 19. Jahrhunderts begann, verlor Leinen sehr schnell seine Vormachtstellung im Bereich der Bekleidungsstoffe.
Das hat zu einer weiteren Ostverlagerung der Flachsverarbeitung geführt, die man inzwischen zu knapp 70% in Gebiete der ehemaligen Sowjetunion, zu gut 10 % in China sowie in Tschechien, der Slowakei, Polen und Irland findet.

Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert war Leinen neben Schafwolle, Hanf, Nessel in Deutschland die einzige von Bauern und Bürgern getragene Textilfaser, während die Seide dem Adel, dem höheren Klerus und besonders wohlhabenden Bürgern vorbehalten war, die sich am Lebensstil des Adels orientierten. Diese sozialgeschichtlichen Hintergründe prägen noch heute das Image dieser traditionellen Fasern. Das macht es den Kunstfasern schwer, mit dem Prestige der Seide zu konkurrieren, auch wenn sie ganz praktische Vorteile gegenüber der Seide besitzen.


Eine ähnliche Fasergewinnung wie beim Fachs erfolgt bei der Fasernessel, deren Gewinnung aber aufgrund schlechterer Fasereigenschaften nicht die Bedeutung des Leinens erreicht hat. Eine Ausnahme bildeten die Jahre des Zweiten Weltkrieges, als in Deutschland nach Faserpfanzen gesucht wurde, die Exporte von Rohwolle und Baumwolle überflüssig machen sollten.



Ein Rohstoff, um den ein Bürgerkrieg geführt wurde: King Cotton



Ähnlich wie die Nessel und der Hanf erreichte allerdings keine der älteren pflanzlichen Fasern
eine nennenswerte Bedeutung für die Textilindustrie, so dass sich die Entwicklung innovativer Maschinen für die Verarbeitung auf die Baumwolle konzentriert hat. 

Damit wurde aus Stoffen für den europäischen Adel ein Massenprodukt, um dessen preiswerten Anbau sogar zwischen 1861 und 1865 ein Bürgerkrieg geführt wurde. Zumindest war King Cotton, der die Südstaaten der USA wohlhabender als die Nordstaaten gemacht hatte, wenn nicht kriegsentscheidend, so doch der reale Grund für die Hoffnung der Südstaatler auf einen Sieg. Aufgrund der hohen Monopolpreise für einen als lebensnotwendig angesehen Rohstoff glaubte man im Süden an die ökonomische Macht dieses Rohstoffs, den die Weiterverarbeiter in Neuengland und in Europa dringend benötigten.

Für den Krieg gab es zweifellos viele Gründe. Dazu gehörten aber nicht nur Fragen der Sklaverei und Menschenrechte, da bei einem Fehlen von Erntemaschinen die Löhne der Baumwollpflücker ein wichtiger Kostenfaktor sind. Das gilt vor allem im internationalen Wettbewerb. Auf diesem Gebiet dürften Sklaven, wie sie in den alten Familien des Süden gehalten wurden, kaum durch Niedriglöhne etwa in Indien schlagbar gewesen sein. 

Dank ihrer Produkteigenschaften und ihrer heutigen Anbaumethoden und weitestgehend maschinisierten Ernte und Verarbeitung konnte diese Faser inzwischen weltweit eine Spitzenposition erobern.

Dabei war sie lange Zeit in Europa ein Luxusprodukt, das mühsam aus Indien importiert werden musste. Voller Begeisterung hat sie bereits im 5. Jahrhundert vor Chr. der griechische Historiker Herodot geschildert: 

Es gibt wildwachsende Bäume, aus deren Frucht man eine Wolle gewinnen kann, die die Schönheit und Qualität der Schafwolle weit übertrifft. Die Inder machen aus dieser Baumwolle ihre Kleider“

Noch um 1600 standen die Preise für die Baumwolle in Europa denen von Seide nicht nach, da die Verarbeitung einen hohen Arbeitseinsatz erforderte. Arbeitsintensiv waren vor allem das Entfernen der Samenkapseln und das mühselige Kardieren. So nennt man das Parallelisieren der Faserflocken, die im Vergleich zu Wolle und Seide von Natur her sehr kurz sind.





Baumwolle (Quelle: wikipedia)













                                                             Baumwollpflanzen mit Samen (Quelle: wikipedia)


Im 17. Jahrhundert war für die Gewinnung der verarbeitungsfähigen Fäden für ein Pfund Baumwolle, womit die angloamerikanischen Maßeinheit Pound gemeint ist, die ca. 453 g beträgt, der Einsatz von 13 Arbeitstagen erforderlich. Hingegen waren für eine entsprechende Menge Seide sechs, für Leinen zwei bis fünf und für Wolle nur ein bis zwei Arbeitstage notwendig.

Während das ein relativer Kostennachteil gegenüber anderen Fasen darstellt, verhinderte ein weiterer Faktor die Entwicklung der Baumwolle zu einem Massenprodukt in Europa und Amerika. Vor 1750 waren sogar die englische Spinner nicht in der Lage, Baumwollfäden zu spinnen, die ausreichend fest genug waren, um reine Baumwollgewebe herzustellen. Man blieb daher auf Indien angewiesen, was die Preise für die meisten Menschen in Europa und Amerika praktisch unerschwinglich machte, weil ohne Dampfschiffe und Container die Transportkosten sehr hoch waren.
 

Das änderte sich nach 1764 revolutionär, als durch die Erfindung der ersten Spinnmaschine, der Spinning Jenny,und anschließend die Spinning Mule, speziell für Baumwolle die kostengünstige Massenproduktion von Baumwollstoffen möglich wird. Dadurch begann eine internationale Arbeitsteilung mit wichtigen Folgen für die betroffenen Menschen. Das Verbraucherland England wird auch zum Produzenten, während die zuvor wichtigen indischen Spinner nicht mehr gebraucht werden und Indien zum reinen Exporteur von Baumwolle mit einer geringen Wertschöpfung absinkt.
 


Baumwolle ökologisch gesehen


Danach begann eine lange Erfolgsgeschichte für die Baumwolle, von der sogar erheblich größere Mengen vermarktet werden konnten als von der seit vorgeschichtlichen Zeiten Textilfaser N.1, also der Schafwolle.

Obwohl die Baumwolle ein nachwachsender Rohstoff ist, gehört diese Pflanzenfaser inzwischen nicht zu den Produkten, über deren Verwendung die Umweltschützer begeistert sind. Ursachen liegen in den industriellen Anbaumethoden und in der lange Wachstumsperiode, deren Probleme die Baumwollanbauer durch einen verstärkten Einsatz von Agrarchemikalien reduzieren wollen.


Die lange Wachstumszeit der Baumwolle erfordert nach der Ernte eine rasche Feldbestellung und Neuaussaat. Daher baut man heute keine Zwischenfrucht an, um die Bodenqualität zu verbessern und das Wachstum von Unkräutern zu verhindern. Stattdessen werden vermehrt Fungizide Und Herbizide ein gesetzt, deren Rückstände in der Baumwolle, im Boden und im Wasser möglicherweise gesundheitliche Gefahren bedeuten.


Um die Rentabilität der teuren Erntemaschinen zu erhöhen hat sich zusätzlich eine Monokultur ohne eine Fruchtwechsel durchgesetzt. 

Sowohl der Verzicht auf Zwischenfrüchte, die der Düngung dienten, als auch die häufigen Monokulturen, erfordern den Einsatz von Agrarchemikalien, wenn sich kein Ungeziefer oder Unkraut ausbreiten und eine ausreichende Düngung erfolgen soll. Daher gilt die Baumwolle heute weltweit als das landwirtschaftliche Produkt mit dem höchsten Einsatz an Agrarchemikalien. So entfielen etwa 10 % des Pestizidverbrauchs auf die Baumwolle, was ihren Anbau unter Umweltschutzaspekten sehr bedenklich macht.

Andere ökologische Problm wirft der Wasserverbrauch der Pflanzen auf. Im wichtigsten konkreten Beispiel, dem austrocknenden Aralsee, treffen dabei die Ausweitung der Anbaufläche und der Einsatz von Herbiziden zusammen, durch die die Baumwolle entlaubt wurde. Das war nötig, weil die damaligen Erntemaschinen ohne eine geeignete Sensorik nicht die Blätter und die Samenkapseln trennen konnten.



                                     Erste Teerfarbstoffe in Dresden (Quelle: wikipedia)

Der Champagner unter den Textilfasern: Seide


Viele Käuferinnen und Käufer dürften in der Seide die Königin der Textilfasern sehen, die die Geheimnisse und den Reichtum des alten Chinas nach Europa gebracht hat. Dafür hat nicht erst die moderne Containerlogistik gesorgt, sondern schon der Handel in griechischer und römischer Zeit hat über die Seidenstraße Europa mit diesem teuren Handelsgut versorgt.

Ganz sachlich gesehen ist hingegen die Seide das Produkt einer engen Symbiose von Pflanze und Tier, und zwar fast ausschließlich dem Seidenspinner bzw. Maulbeerspinner (Bombyx mori) und den grünen Blätter der Weißen Maulbeere, deren grüne Blätter praktisch die einzige Nahrung des Schmetterlings darstellen.




           Maulberpflanze und -spinner (Quelle: wikipedia )


Die weiteren Schritte der Seidengewinnung haben die Umwelt- und Tierschützer auf den Plan gerufen. Ohne die Eingriffe der Seidenraupenzüchter würden 18 Tage nach dem Beginn des Verpuppens die weißen Schmetterlinge schlüpfen. 

Doch die Züchter wollen das Durchbeißen der Fäden der Kokons durch die Raupen verhindern. Daher werfen sie die Seidenkokons mitsamt den lebenden Puppen in kochendes Wasser, töten sie mit heißem Wasserdampf oder grillen sie in der Mikrowelle. Dabei lässt sich beobachten, wie sich die Tiere bei dem hilflosen Versuch, dem vermutlich qualvollen Tod zu entrinnen, in ihrem Kokon winden. Seide ist also nichts für bewusste Tierschützer.


Der Beginn der Seidenherstellung


Die Anfänge der Seidenraupenzucht und damit der Erzeugung von Seidengewebe lagen in der Indus-Zivilisation, die man in die Zeit von etwa 2.800 bis 1.800 v. Chr. datiert. Diese Kenntnisse über die frühe Verwendung von Seidenfasern im heutigen Indien und Pakistan resultieren aus archäologischen Funden. Danach diente in der Indus-Kultur ein Seidenspinner der Gattung Antheraea der Seidenproduktion. Da es sich dabei um keine Züchtung eines speziellen Schmetterlings handelt, spricht man beim Produkt von wilder Seide.

Das sah in China anders aus, wo in zahlreichen Legenden die Entwicklung der Seidenraupenzucht mit dem jeweiligen Kaiserhaus in Verbindung gebracht wurde. Die chinesische Seide stammt ausschließlich von dem domestizierten Seidenspinner ((Bombyx mori). Nach einer Legende soll etwa um 3.000 v. Chr. der Kaiser Fu Xi in seiner Rolle als Kulturbringer als erster auf den Gedanken gekommen ein, Seidenraupen zur Herstellung von Gewändern zu nutzen. Damit nicht genug, schreiben die Chinesen diesem Kaiser auch die Erfindung eines mit Seidenfäden bespannten Saiteninstrumentes zu. Von Shennong, dem Gott des Ackerbaus, soll der vergöttlichte Kaiser dabei unterstützt worden sein, indem er das Volk lehrte, weiße Maulbeerbäume anzubauen, um Seide zu gewinnen. 


Schließlich gab es mit Xiling, der Gattin des Gelben Kaisers Huáng Di noch weitere himmlisch Hilfe. Sie hat angeblich im 3. Jahrtausend v. Chr. dem Volk die Nutzung von Kokons und Seide zur Herstellung von Kleidungsstücken beigebracht.

Die Chinesen haben so in der Seidenraupenzucht und Seidenherstellung ein himmlisches Geschenk an die Menschheit gesehen, das man mit dem der Olive vergleichen kann, wie es die Göttin Athene den Bewohnern Athens gemacht haben soll.


Die Verteilung der göttlichen Faser: Der Seidenhandel


Die Chinesen erkannten rasch, welches wirtschaftliche Potenzial in der Seide steckt und welcher Gewinn sich machen lässt, wenn man ihren Besitz monopolisiert. Daher haben sie den Verkauf oder Schmuggel der Eier der Seidenraupe bei Todesstrafe verboten. Da der Weg vom Ei der Raupe bis zum Seidenfaden recht weit ist und die Zucht viel Erfahrung erfordert, galt die Androhung der Todesstrafe auch für das Know-how der Seidenspinnerzucht.

Auf der anderen Seite förderte man den Seidenhandel, indem ein System von Verkehrswegen geschaffen und gesichert wurde. Aus diesem Netz von Verkehrswegen zwischen dem Monopolanbieter China und einer Reihe von Nachfragern nach dem begehrten Bekleidungsstoff entstand ein System von Handelsstraßen zwischen dem Reich der Mitte und einigen wichtigem Metropolen in Mittelasien und in Südosteuropa.

Das war schon in der Antike ein lukratives Geschäft. W
ie die Kritiker verfallener altrömischer Sitten anprangerten, wollte sich die die wohlhabende Römerin immer kostbarer kleiden, wodurch sich bereits in diesen frühen Jahrhunderten das System der Seidenstraße entwickelte, das nicht nur römische Frauen schöner, sondern zahlreiche Händler und Städte wohlhabender machte.

Die chinesische Seide gelangte insgesamt über mehrere Handelsstationen nach Rom. Chinesische Händler brachten die Seide zu den Häfen von Sri Lanka, wo indische Händler sie aufkauften. Arabische und griechische Händler verschifften die Seide an der südwestlichen Küste des indischen Halbkontinents ein. Der nächste Umschlagplatz war die Inselgruppe Sokotra im nordwestlichen Indischen Ozean, die heute zum Yemen gehört. Von dort aus wurde die Seide in der Regel bis zu dem antiken ägyptischen Rotmeerhafen Berenike gebracht.

Kamelkarawanen transportierten sie anschließend weiter bis zum Nil, wo die Fracht erneut mit Schiffen bis nach Alexandria gelangte. Hier kauften sie überwiegend römische Händler auf, die die Seide schließlich in das Gebiet des heutigen Italien importierten.

Charakteristisch für diesen Fernhandel war, dass chinesische Händler selten westlich von Sri Lanka in Erscheinung traten, indische Händler nur den Zwischenhandel bis zum Roten Meer übernahmen und römische Händler sich auf den Handel zwischen Alexandria und dem römischen Reich begrenzten. Griechische Händler hatten dagegen den größten Anteil an diesen Transaktionen und handelten Seide von Indien bis an die italienische Küste. Es dauerte ungefähr 18 Monate, bis Seide vom Süden Chinas die Häfen entlang der italienischen Küste erreichte. 


Ein Handel über den Landweg der Seidenstraße setzte erst im 2. Jahrhundert n. Chr. verstärkt ein. Der zeitliche Beginn dieser Entwicklung wird oft mit ca. 100 v. Chr. angegeben. Man vermutet, dass hierfür der Offizier Zhang Qian ausschlaggebend war,den Kaiser Han Wudi in die Königreiche von Zentralasien zum Anknüpfen von Handelsbeziehungen entsandt hatte. Diese Handelsroute war deutlich komplexer als der Seeweg und der genaue Weg verschob sich entsprechend den jeweiligen politischen Verhältnissen. Typische Umschlagplätze der Seide waren Herat im heutigen Afghanistan, Samarkand im heutigen Usbekistan und Isfahan im heutigen Iran. 

Während beim Seehandel griechische Händler eine große Rolle spielten, dominierten jüdische, armenische und syrische Zwischenhändler den Handel über den Landweg. Dieses Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute das Mittelmeer über Mittelasien mit Ostasien verbindet, erreichte seine größte Bedeutung zwischen 115 v. Chr. und dem 13. Jahrhundert n. Chr.



                                               Registan (Samarkand) (Quelle wikipedia)


Zwar drohte es in China allen die Todesstrafe, die Seidenspinnerraupen oder ihre Eier außer Landes brachten. Trotzdem soll es um das Jahr 555 angeblich zwei persischen Mönchen gelungen sein, einige Eier zum oströmischen Kaiser Justinian I. nach Konstantinopel zu schmuggeln. Mit diesen Eiern und dem Wissen, welches sie bei ihrem Aufenthalt in China über die Aufzucht von Seidenspinnern erworben hatten, war jetzt auch außerhalb Chinas eine Produktion von Seide möglich. Es ist allerdings fraglich, ob die Eier des Seidenspinners diese lange Reise überstanden hätten. Fest steht aber, dass um 550 n. Chr. die Seidengewinnung im Byzantinischen Reich begann. In Europa etablierte sich anschließend eine Reihe von Regionen als Zentren der Seidenproduktion und der Seidenfärberei. In Preußen bemühte sich im Rahmen seiner wirtschaftlichen Autarkiepolitik vor allem Friedrich der Große um eine eigene Seidenherstellung.

Besonders erfolgreich als Seidenstadt entwickelte sich die toskanische Stadt Lucca, die ihren Einfluss und ihre Macht im 13. Jahrhundert beispielsweise ihrer Seidenindustrie mit ihren mechanischen, wasserkraftgetriebenen Seidenwirkmühlen verdankte. Insbesondere die Farbenpracht, in der Luccaer Färber diese Seide färben konnten, galt in Europa als unübertroffen. Politische Unruhen zu Beginn des 14. Jahrhunderts führten dazu, dass sich Luccaer Textilhandwerker in Venedig niederließen und es dadurch zu einem Know-how-Transfer kam, der langfristig dazu beitrug, dass Lucca zu einer unbedeutenden Provinzstadt wurde.



                                            System der Seidenstraßen (Quelle: wikipedia)


Die weltweite Seidenindustrie

Heute werden die Seidenfäden in Fabriken aufgerollt, wobei man sie von Kleberesten beseitigt und reinigt. Mengenmäßig muss man sich dabei vor Augen halten, dass ca. 50.000 Seidenraupen für nur ein Seidenkleid oder einen indischen Sari lebendig gekocht werden müssen. Bei einer weltweiten Seidenproduktion von 127.000 Tonnen im Jahr 2011 bedeutet dies den Tod von Billionen von Tieren. 

Wie bereits zur Zeit der Anfänge der Seidenstraße ist auch heute China mit großem Abstand vor Indien, Japan, Brasilien und Thailand der weltweit wichtigte Seidenproduzent. Insgesamt gibt es in China etwa 20.000 Quadratkilometer Maulbeerbaumplantagen, was in etwa der Größe des Bundeslands Sachsen entspricht

Damit hat sich unter den Anbauländern seit 2.000 Jahren nicht viel geändert. Neu ist vor allem, dass seit den 1950-er-Jahren durch japanische Einwanderer verstärkt in Brasilien Seidenspinner gezüchtet werden. Brasilien ist daher heute dank einer industriellen Produktion und hervorragender klimatischer Bedingungen zu einem bedeutenden Erzeugerland für Seide aufgestiegen. Dazu haben nicht zuletzt Kreuzungen beigetragen, durch die man bei den Seidenfäden unterschiedliche Farben erhält, wie etwa goldgelbe und andere Nuancen.




                               Weltproduzenten für Seide 1992
                       Quelle: http://map1.de/aufbereitung/arbeit/seide/node22.html


Seide in Deutschland: Nicht nur ein Verbraucherland


Auch Deutschland stand bei der Seidenproduktion nicht immer im Abseits, worauf bereits der Hinweis auf Friedrich den Großen aufmerksam gemacht hat, als man an vielen Alleen Maulbeerbäume pflanzte. Seidenhandel und -verarbeitung hatten jedoch in den deutschen Staaten ihren Höhepunkt bereits relativ früh hinter sich; denn noch im 18. und 19. Jahrhundert besaßen einige Krefelder Seidenbarone großes Ansehen und hatten sich Reichtum und vor allem Unabhängigkeit vom Einfluss der Obrigkeit verschafft. „Baron“ bezeichnete damals schließlich einen Titelträger, der als freier, unabhängiger Mann mit weitreichenden Sonderprivilegien ausgestattet war.

Über mehrere Generationen hinweg betrieben Angehörige der Familie von der Leyen mit ihrer Samt- und Seidenfirma „Friedrich und Heinrich von der Leyen & Cie.“, die die Brüder im Jahr 1730 gegründet hatten, im Raum Krefeld eine erfolgreiche Seidenproduktion. A
ufgrund der Gesellschaftskonstruktion blieb die Firma sogar noch bis 1823 bestehen, obwohl de Gründer selbst keine direkter Nachkommen hatten. Dieser Seidenhersteller belieferte fast den gesamten europäischen Adel mit kostspieligen Seidenstoffen aus Samt und Seidenbrokat. Aufgrund des großen Geschäftserfolges ist bereits 1763 jeder zweite der 6.082 Einwohner Krefelds in dem Unternehmen der beiden Brüder beschäftigt.

Das Ende dieser Firma bedeutete jedoch nicht den Untergang der Seidenstoffherstellung am deutschen Niederrhein. Vielmehr führte es zum Aufbau eines Verlagssystems, bei dem Unternehmer als Händler die Vorprodukte und Muster formal selbständigen Heimweber zur Bearbeitung vorgeben, durch ein Fabriksystem mit großen, hellen Handwebsälen. In Krefeld kam es 1908 zu diesem Wandel, als Gottfried Diepers eine Seidenfabrik baute, das jetzt als "Haus der Seidenkultur" genutzt wird. Hier wurden anschließend fast bis zur Jahrtausendwende die mit Gold- und Silberfäden durchwirkten Stoffe an damals modernen hochtechnisierten Jacquard-Handwebstühlen für die kostbaren Paramente gewebt.


Mehr als ein seidiges Gefühl: Seidenstoffe


Seide zeichnet sich nicht allein durch ihre hohen Preis aus, der nur besser Betuchten ermöglichte, früher Textilien aus diesem ganz besonderen Stoff zu tragen. Für sein Geld bekam er Seide, der Stoff aus dem die Träume sind.

Seide gilt als unvergleichliche Faser: sie ist luxuriös und elegant sowie hautfreundlich und atmungsaktiv. Seide wärmt bei Kälte und kühlt bei Hitze, sie besitzt einen einzigartigen Glanz, überrascht mit ihrer hohe Festigkeit, Leichtigkeit und Feinheit. Für ihre Verwendung als Textilfaser ist besonders wichtig, dass sie isolierend gegen Kälte und Wärme wirkt. Sie kann bis zu einem Drittel ihres Gewichtes an Wasser einlagern. Seide neigt wenig zum Knittern. Zudem fühlt sich Seide angenehm glatt und kühl an. Sie gilt daher als ein Wunder der Natur.



Die fantastische Welt der Seidenstoffe



Wie der Kontrast von durchsichtigem leichtem  Chiffon und schwerem, festem

 Brokat vor Augen führt, kann man nicht nur über den Allgemeinbegriff Seide schreiben, wenn man dem Universum der Seidenstoffe auch nur halbwegs gerecht werden will. Daher sollen einige kurze Anmerkungen über besonders bekannte Stoffe informieren, die weitgehend aus Seide hergestellt wurden und es häufig auch weiterhin werden.


Märchenhafte Stoffe des Orients: Chiffon


Allein schon die in Europa üblichen Begriffe lassen in vielen Fällen von ihrem Klang die Welt aus den Geschichten von Tausendundeine Nacht vor den inneren Augen entstehen. Eine Reihe von Assoziationen dürfte zumindest mit dem Begriff Chiffon verbunden sein, dessen Herkunft in der arabischen Bezeichnung für "durchsichtiger Stoff" und damit einem hauchzarten, schleierartigen Gewebe aus Seide anklingt.

Durch die Zartheit wird dieser Stoff, den viele für den feinsten bekannten Stoff überhaut halten, sowohl für Sommermode oder Nachtwäsche als auch für Abendkleider gerne verarbeitet. Bei der Herstellung entsteht durch die Verwebung stark gedrehter Garne ein leichtes und äußerst weiches Material, das sich, wird es vorsichtig zwischen den Fingern gerieben, anfühlt "wie der feine Sand eines weißen Strandes am blauen Ozean".

Aufgrund dieser Webstruktur kann man ein ca. 50 x 50 cm großes Chiffontuch zusammenpressen und in einer Faust verstecken. Chiffontücher eignen sich gut für tänzerische Darstellungen, da sie wegen ihrer großen Oberfläche bei geringem Gewicht und hohem Luftwiderstand sanft und langsam zu Boden gleiten, wenn sie in die Luft geworfen werden.




Hochwertiges, schweres und glänzendes Gewebe aus Seide: Duchesse



Auch wenn Duchesse ebenfalls ein Stoff für Damen ist, worauf die englische Übersetzung der Bezeichnung verweist, bei der es sich um den französischen Begriff für Herzogin handelt, ähneln sich die Seidenstoffe nur wenig. Zwar haben beide den Seidenglanz gemeinsam, nur handelt es sich unter der Bezeichnung Duchesse ein schweres Gewebe.

Dank der Stoffstruktur mit einer recht hohen Fadenzahl und Dichtigkeit in der Kette entsteht in Verbindung mit der Fadenfeinheit ein fließender Fall des Gewebes. Dabei wird durch die dichte Kette ein hoher Glanzeffekt erzielt.

Duchesse wird aufgrund dieser Eigenschaften zu festlichen Kleidern, Kostümen und Blusen verarbeitet sowie als Futterware für Jacken und Mäntel verwendet.








Satin (Quelle: wikipedia)










Glänzend und glatt oder matt: Satin



Auf seine Webart weist die alte Bezeichnung "Atlas" für Satin hin, einen Seidenstoff mit einer stark glänzenden, glatten Oberseite und eine matten Unterseite. Generell kann Satin nach der verwendeten Faserart und dem Garn leicht oder schwer, matt- oder hochglänzend, fließend oder steif sein. Auch kann lässt sich Satin aus beliebigen Fasern weben. Man bevorzugt jedoch endlose Fasern, um den Glanz zusätzlich steigern.

Wegen des starken Glanzes wird Satin gern für festliche Kleidung wie Abend- und Brautkleider verwendet. Der glatt-kühle, fließende Griff der Varianten Crèpe Satin und Charmeuse macht diese für Unterwäsche, Futter und Miederwaren, weniger hingegen für Bettwäsche beliebt.



Bekleidung durch edlen Glanz und sinnliches Rascheln: Taft 

An eine Herkunft aus Persien und damit eine Nähe zur Seidenstraße erinnert noch heute der Begriff "tafteh", was im Persischen "gewebt" bedeutet.

Die ursprüngliche Bezeichnung ist auf eine Webart zurückzuführen, bei der die dünnen Kettfäden eng zusammenstehen und ein etwas dickerer Schussfaden eingelegt wird. Es entsteht eine Ripsstruktur, die dem Stoff auch seinen typischen Stand verlieh.

Heutzutage wird der Taft zumeist in Leinwandbindung gewebt und erhält sein Aussehen und die Festigkeit durch Material und Ausrüstung. In der eleganten Abend- und Ballmode aber auch im Dekorationsbereich hat der Taft seine häufigsten Anwendungsgebiete.

Neben einfarbigen verwendet die Bekleidungsindustrie auch farbig bedruckte und bestickte Tafte. Darüber hinaus sind Tafte mit veränderter Oberflächenstruktur üblich, so z. B. mit Moiré-Effekt oder als Crash, womit man man geknüllten oder faltigen Strukturtaft bezeichnet. Ein eingewebtes Jacquardmuster ist hingegen seltener.

Ob kleines Schwarzes oder großes Ballkleid: Wenn es festlich wird, sind Taft und Moiré erste Wahl Schießlich sorgen sie für einen edlen Glanz und ein sinnliche Rascheln!



Ein Stoff für figürliche Muster: Damast


Damast, dessen Name Assoziationen zur syrischen Metropole Damaskus an der südlichen Seidenstraße wachruft, ist ein Gewebe, bei dem sich kett- und schusssichtige Partien abwechseln Dadurch lassen sich in Damast figürliche Muster aller Art einweben, die man beliebig über die Webbreite verteilt.

Damaste werden üblicherweise an speziellen Webstühlen mit Zugeinrichtungen hergestellt. Wegen dieser aufwendigen Webtechnik und der großen Zugbelastung auf die Kettfäden werden Damaste nur mit sehr hochwertigen und glatten, glänzenden Materialien hergestellt Das war früher fast ausschließlich Seide. Inzwischen ist es
 merzerisierte Baumwolle. Dieses Verfahren einer Behandlung der Baumwolle mit Natronlauge geht auf den Briten John Mercer zurück, der es Mitte des 19 Jahrhunderts entwickelt hat.



Mantel des österreichischen Kaisers aus rotem und weißem
Samt mit Goldstickerei (Quelle: wikipedia)



Erinnerungen an den Reichtum der Frühen Neuzeit: Samt

Während des Ausganges des Mittelalters wurde Samt in Europa sehr beliebt und entwickelte sich zum Hauptgewebetyp der Renaissance. Erster Kettsamt ist bereits im Italien des frühen 14.Jahrhunderts nachgewiesen, er dürfte in Venedig, Florenz, Genua und Mailand gewebt worden sein.

Beim Samt handelt es sich um ein Gewebe mit kurzem 2 bis 3 mm Flor.Der Flor entsteht durch ein drittes Fadensystem, das fest in das Grundgewebe aus Kette und Schuss eingebunden wird und senkrecht zu Kette oder Schuss verläuft. Diese Schlingen können anschließend aufgeschnitten werden, um einen Samt zu erzeugen.

Die Vorliebe für Samt tauchte gegen Ende des Mittelalter vor allen in Europa auf So hat dieser Stoff offenbar eine Namen, der aus dem Griechischen stammt und "sechsfädig" bedeutet, was sich auf die Florfäden bezieht.

In dieser Zeit wurde er bereits als Bezugsstoff, beispielsweise für Kissen, verwendet; außerdem für Prunkgewänder und Wandbezüge. Später verdrängte die Baumwolle die Seide wegen des Preises aus der Samtherstellung, wenn man die Produkte größeren Konsumentenschichten anbieten wollte. So war die Seide an der Entwicklung von Cord, der die mittelenglische Manchester bekannt gemacht hat, und Lindener Velvet aus dem Hannoveraner Vorort Linden nicht beteiligt, da es sich dabei um Baumwollprodukte handelt.


Ein Stoff für Kuscheltiere: Plüsch


Plüsch, dessen ursprünglich französische Bezeichnung für "Fussel" oder "Staubflocke" steht, ist ein Gewebe mit einem sehr weichen Griff, das dem Samt ähnelt. Er unterscheidet sich allerdings durch die größere Länge des Flors. Auch die Herstellung entspricht der des Samtes. Im Gegensatz zu diesem hat Plüsch jedoch einen wesentlich höheren, dafür aber weniger dichten Faserflor, der bis zu mehreren Zentimetern Höhe erreicht.

Bei Scherplüsch oder Nickiplüsch bindet man in die normale Strickware einen extra Faden ein, der an der Produktoberfläche kleine Schlingen bildet. Werden die Schlingen zerschnitten, entsteht durch die zahlreichen kleinen Fädchen, die aus dem Stoff heraushängen, eine samtartige Oberfläche. Dieser zusätzliche Faden kann ganzflächig oder gemustert eingebunden werden, was beispielsweise für Frottée typisch ist.




Prunkstoff für weltliche und kirchliche Würdenträger: Brokat


Brokatstoff ist ein nach seiner Webart schwerer, fester, gemusterter Stoff aus Seide oder Viskosefilamentgarn, in den Gold- oder Silberfäden eingewoben sind.

Seidenbrokat besteht ausschließlich aus reiner Seide. Der Brokatstoff findet Verwendung als Möbelstoff oder Tapetenstoff und wird für Prunkgewänder und -schuhe verwendet. Früher und sogar teilweise bis in die heutige Zeit wurde Brokat gerne von Adligen und kirchlichen Würdenträgern getragen. Das beste Beispiel ist die Verwendung an der Kaaba, dem höchsten Heiligtum des Islams in Mekka. Hier wird dieser heilige Stein mit der sogenannten Kiswa ummantelt, die aus schwarzem Brokatstoff besteht.



Eine neue Seidenkreation: Crepe Georgette


Eine Herkunft von der Seidenstraße mit dem entsprechenden Image ist allerdings nicht die einzige Quelle für Seidenstoffe. Es gibt auch neue Kreationen, sodass immer wieder weitere Seidenstoffe auf den Markt kommen. Crêpe Georgette ist ein slches Produkt. Dabei handelt es sich um ein besonders zartes und feines Gewebe von durchsichtiger Optik. Charakteristisch ist zudem die stark gekräuselte Oberfläche, die durch die Verwendung von Kreppgarn entsteht, also stark gedrehte Seidenfäden, verwendet werden. Crêpe Georgette fühlt sich leicht körnig und sandig an. 
                          
Benannt ist dieser Seidenstoff nach der Pariser Modistin Georgette de la Plante, die ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Sie hat damit eine Marktlücke entdeckt und gefüllt, die es offenbar bei den Chinesen und den Kulturen an der Seidenstraße oder im neuzeitlich Europa noch nicht gab. Darauf könnten ihre besonderen Eigenschaften nähere Hinweise geben.

Trotz der sehr dichten Leinwandbindung erscheint Crêpe Georgette leicht transparent und durchscheinend. Die fragile Optik täuscht allerdings, denn diese Seidenart ist auch sehr robust und reißfest. Durch ihr geringes Gewicht lässt sich diese Seide auch in mehreren Lagen und Schichten verwendet, um aufwendige Kleidungsstücke herzustellen. Wie alle Seidengewebe lässt sich auch Crêpe Georgette hervorragend einfärben und ist daher in zahlreichen Farbvarianten erhältlich. Der Vorteil dieses aktuellen Seidenstoffs dürfte damit vor allem die Kombination von einem leichten, transparenten Gewebe sein, das zugleich sehr robust und reißfest ist. 
                           Kleid aus Crépes Georgette (Quelle: wikipedia)                


     

        
Farben und Fasern aus der Retorte: Chemiefasern


Für revolutionäre Veränderungen auf dem Textilfasermarkt sorgten nicht nur Tüftler, die Maschinen für die arbeitsintensive Verarbeitung der Rohfasern erfanden und weiter entwickelten, wie das fr das Massenrodukt Baumwolle gilt. Seit den 1830-er Jahre wurden sie von Chemikern unterstützt, die in der Industrie oder in Universitäten arbeiteten. Bei diesen Forschungen nutzte man eine besondere Eigenschaft der Baumwolle, die sich sehr leicht färben lässt. 

Dabei stieß man jedoch mit den damals bekannten natürlichen und teuren Farbstoffen auf Grenzen, sodass die Wissenschaftler nach neuen künstlichen Farbstoffen suchten. Als Ausmaterial diente dabei der Steinkohlenteer und speziell das Anilin. Daher spricht man auch von Teer- oder früher von Anilinfarben.

Die Entdeckung, die einen wahren Boom an gefundenen Farbstoffen auslöste, gab 1834 Friedlieb Ferdinand Runge, der  Anilin aus Steinkohlenteer isolierte und nachwies, dass sich Farben aus Anilin herstellen ließen.

Zunächst erkannte niemand das Potenzial des Steinkohlenteers. Das änderte sich erst durch August Wilhelm Hofmann und dessen englischem Schüler William Henry Perkin, der 1856 das malvenfarbig  Mauveine entdeckte, für dessen Produktion er im folgenden Jahr die erste Teerfarbenfabrik Großbritanniens im Londoner Vorort Greenford gründete. Greeford gilt daher als Geburtsort der modernen organischen Chemie. Nur drei Jahre später gelang die Synthese des Fuchsins durch den Lyoner Chemiker Françoic-Emmanuel Verguinder 1858 ein Patent erhielt.

In dieser Zeit konnte fast jährlich ein neuer Farbstoff entdeckt werden. Der Höhepunkt dieser Entwicklung folgte schließlich im Jahr 1880, als Adolf von Baeyer die Indigo-Synthese gelang. Damit wurden die teuren Naturfarben aus der indischen Indigopflanze und dem in Europa angebauten Färberwaid überflüssig, denn Baumwolle konnte erheblich preiswerter und besser blau gefärbt werden. Die Grundlage für preiswerte Blue Jeans waren damit vorhanden.

Auf der Grundlage dieser Forschung entwickelten sich in Deutschland gleich drei große Farbhersteller: Meister Lucius & Brüning, wobei sich diese Firmierung auf die Chemiker Eugen Lucius und Adolf von Brüning sowie
den Kaufmann Wilhelm Meister bezieht, der relativ schnell wieder ausschied. Daher wurde die Gesellschaft nach ihrem nassauischen Standort in der Nähe Frankfurts in Hoechst AG umfirmiert. Bekannt wurde das neue Chemieunternehmen zunächst durch ihre Produktion von Fuchsin und Anilin bekannt wurd
en. Ab 1864 kam dann auch das von Lucius und Brüning entwickelte Aldehydgrün hinzu, ein Derivat des Fuchsins.

Dieser Farbstoff sorgte rasch für Furore, als die französische Kaiserin bereits Ende 1863 ein Gewand aus smaragdgrün schimmernder Seide trug. Bewundert wurde dabei vor allem die satte Farbe, die selbst dem Gaslicht der Oper standhält, ohne ins Blau abzudriften. Kurze Zeit später kann Hoechst in seiner Firmenchronik berichten, dass das neue Grün "Mode in der ganzen Welt"geworden sei.

Während die heutige Bayer AG sich außerhalb ihres übrigen Geschäfts auf die Produktion der Teerfarben Fuchsin und Anilin konzentrierte, nahm die Badische Anilin & Sodafabrik, die heutige BASF SE, einen Verweis auf den Farbgrundstoff bereits in ihren Firmennamen auf.Das war durchaus berechtigt, denn in Ludwigshafen stellte man Indanthren, Alizarin, Eosin, Auramin, Methylenblau und verschiedene Azofarbstoffe her

Einen großen kommerziellen Erfolg brachte das Jahr 1897, als man Indigo nach einem neue Syntheseverfahren industriell herstellen konnte. Damit stellte sich siebzehn Jahre nach dem Beginn der Forschungen in diesem Bereich ein Erfolg ein, der den hohen Einsatz an Forschungsmitteln rechtfertigte. Ab 1897 wurde synthetischer Indigo kommerziell nach dem Heumann-Synthese genannten Verfahren von der BASF hergestellt, nachdem man das Verfahren bei der BASF für den großtechnischen Einsatz weiterentwickelt hatte. Von da an hieß es „Indigo rein BASF“. Damit hatte die badische Aktiengesellschaft das Wettrennen um eine renditeträchtige Herstellung für sich entschieden. 


Am Anfang einer neuen Ära: Viskose


Nach dem Siegezug der synthetischen Farbe folgte ein neues Zeitalter der Textilfasern, wobei auch hier die Naturfasern immer mehr von Kunst- und Chemiefasern verdrängt werden. Dieses neue Textilfaserzeitalter begann mit einem Zwischenschritt. Um 1900 wurden neue Produkte entdeckt und entwickelt, die aus einer chemische Verbindung von Holz oder genauer gesagt Cellulose und "richtigen" Chemikalien wie Natronlauge und Kupferhydroxid bestanden. Ganz nach dem gewünschten Image bezeichnete man diese Viskosefäden, als "eine chemisch hergestellte Faser aus natürlichem Grundstoff" oder "
künstlich hergestellte Fasern aus dem Naturstoff Cellulose". 

Optisch ähnelt diese neue Faser der Baumwolle, wobei sie einen seidenen Glanz besitzt. Daher wurde sie in Deutschland als Kunstseide beworben, um den Absatz während der NS-Zeit in Deutschland anzukurbeln.

Wie auch in späteren Fällen der Textilfaserentwicklung war bereits gleich zu Beginn der Entdeckungsjahre die Arbeit an der Kunstseide mit einem regelrechten Forscherwettbewerb verbunden.

Im Fall der Kunstseide konnten der deutsche Chemiker Max Fremery und sein Arbeitskollege Johann Urban, den er bei einer Glühbirnenfabrik in Rotterdam kennengelernt hatte, 1897 ihr Verfahren für die Erzeugung von Kupferkunstseide zum Patent anmelden. 

Dieses neue Produkt, das auch Cupro hieß, um auf das Kupfer (lat.:cyrum - Kupfer) als wichtigen Bestandteil hinzuweisen, wurde nach Schweizers Reagens in einer tiefblauen, wässrigen Lösung von Tetramminkupfer(II)-hydroxid mit der Reagenz Cellulose zu einer breiigen Masse gelöst (Amminkupfer(II)-Cellulose), versponnen und anschließend durch Zugabe einer Säure wieder gefällt. 

Entsprechend ihrer beruflichen Tätigkeit setzten die Entdecker diese Kupferkunstseide in der Glühlampenproduktion ein.

Im Herbst 1899 war es dann so weit. Die beiden Forscher konnten in Oberbruch, einem Stadtteil der heutigen Stadt Heinsberg, eine eigene Fabrikation aufnehmen. Ihre gleichzeitig gegründete AG, die Vereinigten Glanzstoff Fabriken AG, hatte ihren Firmensitz in Aachen. Nachdem es gelungen war, das Verfahren weiter zu verfeinern, ließen sich die gelösten Cellulosefasern auch zur Weiterverarbeitung zu Textilgewebe nutzen.

1902 verließen die beiden Gründer die Aktiengesellschaft und kauften 1911 mit dem Viskose-Patent die Rechte an dem konkurrierenden Verfahren für die Herstellung von Kunstseide.

Das ging auf den Engländer Joseph Wilson Swan zurück, der 1883 erstmals Fasern aus Cellulosenitrat hergestellt hatte. Aber auch der französische Erfinder
Hilaire de Chardonay war mit seiner
 Société Anonyme pour le fabrication de la soie de Chardonnet war bereits seit 1891 an der fabrikmäßigen Herstellung von cellulosischen Filamentgarnen beteiligt. Der englische Physiker und Chemiker Joseph Wilson Swan hatte diese Patente erworben, als er auf der Suche nach einer guten Glühbirne war. Dabei stieß er auf das Verfahren zur Herstellung von Kunstfasern, bei dem Nitozellulose durch eine Spinndüse gepresst und zu langen Fäden gezogen wird.

Chardonnet war auf die Erkrankungen von Seidenraupen aufmerksam geworden, mit denen sich damals sein Bekannter, der Mikrobiologe Louis Pasteur, beschäftigte. Bei der Lösung des so entstehenden Produktionsausfalls bei der Seidenherstellung setzte Chardonnet jedoch abweichend von dem medizinischen Ansatz seines Bekanten auf eine ganz andere Lösung. Er wollte nicht die Krankheiten der Seidenraupen bekämpfen, sondern einen Ersatzstoff für Seide finden. Damit begann seine Sucher nach der "Kunstseide".

Dennoch interessierte ihn auch die Seidenproduktion durch die Raupe. Dabei soll ihn die Entstehung des Fadens besonders interessiert haben. Die wichtigste Anregung für seine weitere Arbeit vermittelte ihm das Sekret der Seidenraupe und dessen rasche Erstarrung zu einem Faden. Dies soll ihn auf den Gedanken gebracht haben, der natürlichen Seide auf einem entsprechenden chemischen Wege herzustellen. Sein Anfangspunkt waren dabei Maulbeerblätter, die Nahrung der Seidenraupen. Er verwandelte diese mit Salpeter- und Schwefelsäure zu Cellulosenitrat und erspann daraus erste Fasern, die man durchaus als Kunstseide bezeichnen konnte.




Von der Spinnmasse zur Textilfaser




                                     Spinndüse (Quelle: Sir Charles 5, S. 5 (Förderverein))


Wie das Schema darstellt, haben sich die Chemiker bei der Herstellung der künstlichen Fasern die Seidenraupen als Vorbild gewählt. Die Faser wird jeweils erzeugt, indem die Spinnmasse aus einem speziellen Behälter (1) mi Hilfe einer Spinnpumpe (2) durch eine Spinndüse (3) gedrückt wird. Die Filament genannte Endlosfaser (4) wird schließlich durch eine Vorrichtung (5) geleitet, die das Filament abzieht und aufrollt 



(Kunst-)seide für alle


Die Pariser Weltausstellung im Jahre 1889 konnte eine Sensation präsentieren, als der Erfinder erstmals einem großen, begeisterten Publikum seine Chardonnay-Seide zeigen konnte. 

Auf dieser Grundlage ist inzwischen ein breites Sortiment an Viskosefasern entwickelt und auf den Markt gebracht worden. Das Rohmaterial für diese Fasern ist Zellstoff, welcher aus Holz durch die Entfernung der Bindestoffe, also vorrangig des Lignins, direkt und ohne chemische Umwandlung hergestellt wird. Die Umsetzung des Zellstoffes zum Zellulosexanthogenat im klassischen Viskosefaserprozess dient nur zur Erzielung einer Löslichkeit und endet schließlich nach dem Spinnen wieder im Ausgangsmaterial Cellulose. 

Nachdem Hersteller des Zellulosexanthogenat zunächst dieses Vorprodukt selbst hergestellt und teilweise auch gesponnen hatten, sind diese Tätigkeiten inzwischen weitestgehend von Europa nach Südostasien verlagert worden. Hier sind die indische Grasim Industries Ltd und eine Tochter der Lenzing-Gruppe, die PT. South Pacific Viscose (SPV), heute weltweit die größten Herstellern von Viskose.

Diesem aktuellen Stand ging ein langer und mühsamer Verlagerungsprozess der europäischen und deutschen Kunstseideindustrie voraus, der sich an dem Schicksal des alten Werkes in Oderbruch besondern hart vor Augen führen lässt. Die Vereinigte Glanzstoffwerke waren bis in die 1970er Jahre hinein Weltmarktführer bei der Herstellung von Kunstfasern. 1965 erwirtschaftete das Unternehmen noch einen Umsatz von 1,347 Milliarden DM und beschäftigte 29.000 Mitarbeiter. Davon arbeiteten über 10.000 Beschäftigte allein in Oberbruch. Dieser Betrieb wurde 2007 in Deutschland vollständig geschlossen und nach Jilin in China verlagert. Auslöser für diesen Trend war die Chemiefaserkrise in den 1970-er Jahren, durch die steigenden Rohstoff- und Energiepreise zu massiven Einbrüchen führten und durchgreifende Kostensenkungen erforderten. Außerdem liefen in dieser Zeit wichtige Patente aus, wodurch die Produktion- und damit vor allem die Arbeitskosten der entscheidende Standortfaktor wurden.



Rayon-Fasern (Quelle: wikipedia)
 


In Deutschland war auch die BWK in Blumenthal 
an der Entwicklung der Viskose und ihrer Verarbeitung neben anderen beteiligt, die schon früher mit der Veredelung von Chemiefasern begonnen hatten. Auslöser war die Devisenknappheit, die im Ersten Weltkrieg nach Substituten für Rohwolle suchen ließ. Daher setzte man Zellstoff ein, der wegen des besseren Klanges im allgemeinen Sprachgebrauch während der NS-Zeit in Zellwolle umbenannt wurde. 



Von den Acetatfasern der Nachkriegsjahre Jahre zu Lycocell



Bereits bei der Entwicklung von Viskose ergaben sich Unterschiede, wenn die Fasern nach dem Kupferoxid-Ammoniak-Verfahren oder über einen Essigsäureester hergestellt werden.

Beide Verfahren wurden seit ihren Anfängern mit mehr oder weniger großem Erfolg weiterentwickelt. Dabei galten die generell für CCM oder Man-made Cellulosefasern, wie diese Fasergruppe aktuell genannt wird, günstigen Zukunftsaussichten nicht für die Viskosefaser Cupro, die auch als Kupferseide oder -faser bezeichnet wird. Zwar hat Cupro einige positive Eigenschaften im Vergleich zur Viskose, denn es ist atmungsaktiv und hygroskopisch und lädt sich nicht elektrostatisch auf. Zudem haben die Stoffe einen seidigen weichen Griff, sind glatt und glänzend. Auch kann Cupro gewaschen und gebügelt werden, ist aber nicht bügelfrei. 

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war Cupro sogar sehr begehrt als Faser für Kleider, Röcke und Blusen, weil die Drucke auf dieser Faser so wunderschön brillant erschienen und weil sich Cupro problemlos pflegen ließt. Das änderte sich in der Folgezeit, als es um die Faser zunächst sehr ruhig wurde, bevor sie in den siebziger Jahren fast lautlos vom Markt verschwand.

Aus Kosten- und Umweltschutzgründen allerdings wird es in Deutschland inzwischen nicht mehr hergestellt. Grund ist das Lösungsmittel Kupferoxid-Ammoniak, das für Algen und Kleinpilze giftig ist und nicht ausreichend bei der Abwasserreinigung entfernt werden kann.



Diese ökologischen Bedenken gelten nicht gegenüber den Azetatfasern Acetat und Triacetat, die beide durch eine Veresterung aus Cellulose entstehen.

Eine deutliche Steigerung der Attraktivität von Acetat ergab sich aus einer Entdeckung des Schweizer René Clavel, der 1920 ein neues Färbeverfahren für Celluloseacetat entdeckte, das den Einsatz neuer leuchtender Farben sowie eine nahezu verbesserte Wiedergewinnung der Lösungsmittel ermöglichte und damit die Herstellungskosten entscheidend zu senkte. Weitere Kostensenkungen bei der Rückgewinnung des Lösungmittels gelangen den Brüdern Camille und Henri  Dreyfus, die als die „Väter“ der Acetatseide bezeichnet werden. Grund dürfte sein, dass sie 1921 in Spondon, einem Stadtteil von Derby, ihr bereits 1916 gegründetes Unternehmen in British Celanese Ltd. umfirmierten, das Acetatseide unter dem einprägsamen Handelsnamen Celanese auf den Markt brachte. Das Kunstwort Celanese setzt sich aus "Cel" für Cellulosis und "ease" als Begriff für Tragekomfort zusammen.

Bei Acetatseide handelt es sich um eine der ältesten Chemiefasern, deren Produktion 1964 mengenmäßig hinter Viskose und Nylon an der dritten Stelle der Welt-Chemiefaserproduktion lag. Das in den 1950-er Jahren weiter entwickelte Triacetat ist ihm in vieler Hinsicht ähnlich, im Hinblick auf einige Eigenschaften jedoch überlegen. So haben sich die Entwicklungsabteilungen der Chemiekonzerne um eine höhere Festigkeit und Scheuerbeständigkeit gekümmert, aber auch eine Verbilligung der Herstellungsverfahren (Heim)

Vergleich man die physikalischen und chemischen Eigenschaften der beiden Acetatfasern mit denen der anderen Faserarten, so erkennt man, dass ihnen die vollsynthetischen Fasern inzwischen überlegen sind. Wenn sie dennoch auf dem Markt zunächst so erfolgreich waren, lag dass damals nicht nur an objektiv messbaren Eigenschaften, sondern auch an der Mode.  So war das Acetat vor allem wegen seines seidigen Griffes, seines edlen Glanzes, der Leuchtkraft der Farben und des hervorragend schönen Falls besonderes für Damenoberbekleidung sehr beliebt. Auf die geringe Festigkeit und Scheuerbeständigkeit wurde daher weniger geachtet. 
Diese Chemiefaser wurde entsprechend ihren Eigenschften häufig für Blusen, Unterrockfutter, Kleider und Unterwäsche verwendet.

Ein großer Vorteil war in den 1960-er Jahren nicht zuletzt der niedrige Preis gegenüber den damals noch recht teuren Chemiefasern. So kostete Anfang Februar 1966 Acetat 0,91 $/lb und lag damit deutlich unter der aktuell preiswertesten Faser Polyester mit 1,75 $/lb. Aber das hat sich, wie gesagt, inzwischen geändert, was die Acetatfasen vom Markt verdrängt hat, da die Kunden eine preiswerte Faser, die sich besser tragen und pflegen lässt, eindeutig bevorzugen.(Heim) 

De zweite Acetatfaser Triacetat (CTA) wird ebenfalls aus Zelluloseacetat hergestellt, wobei man allerdings eine Lösung in Dichlormethan verwendet. Daher sieht man Triacetat zwar als eine Weiterentwicklung von Acetat an. Es besitzt jedoch sehr ähnliche Eigenschaften, wenn man einmal davon absieht, dass Acetat wesentlich hitzeunbeständiger ist. Da dieser Unterschied für den Konsumenten kaum ein Kaufargument ist, konnte Triacetat im Handel keine große Karriere machen, was sich zwangsläufig auf die Produktion auswirkte.

Wie aus der Statsitik weier unten zu erkennen ist, konnten Acetat und Triacetat in den 1960-er Jahren einen Weltmarktanteil von %, whrend sie bereits in den 1980-er Jahren gar nicht mehr in der Statsitik der Weltfaserproduktion aufgefhrt werden. Neue Fasern waren ihnen vom Preis und von den Produkteigenschaften überlegen.


Seit die Entwicklung der Zellulosefasern während der Kriegszeiten aus dem Mangel an anderen Fasern erfolgte und ihre qualitativen Eigenschaften daher nicht immer überzeugen konnten, ließen sich diese Defizite seitdem durch die weiter Forschung beseitigen. Das galt vorrangig für eine schlechte Festigkeit der alten Zellwolle. Ja, in vielen Fällen besitzen die weiterentwickelten zellulosische Fasern oder man-made Cellulosefasern (MMC), wie sie auch genannt werden, um ihre Zwischenstellung zwischen einer synthetischen Kunst- und einer Naturfaser herauszustellen, inzwischen besonder begehrte Eigenschaften. Sie sind inzwschen durchaus konkurrenzfähig, ja, teilweise weisen sie sogar günstigere Kombinationen von Eigenschaften auf als die Natur- und Chemiefasern.

Praktische Bedeutung haben gegenwärtig, wenn man vom Preis absieht, einige Modifikationen der Viskose, die in der Regel durch ein abweichendes Spinnverfahren oder den Einsatz spezieller Lösungen entstehen.

Bei Modalfasern wird durch das veränderte Spinnverfahren eine Faser erzeugt, die gleichzeitig weicher und stabiler als die klassische Viskose ist. Gleichzeitig it diese Faser verglichen mit Baumwolle elastischer und strapazierfähiger, während sich diese neue Faser von der Viskose selbst durch ihre Festigkeit und glatte Oberfläche unterscheidet. 

Aufgrund ihrer hohen Saugfähigkeit, Robustheit und Langlebigkeit sowie Atmungsaktivität eignet sich die Faser besonders für körpernahe Verwendungen also beispielsweise die Unterwäsche.

Weltmarktführer bei Modalfasern ist heute die österreichische Lenzing-Gruppe mit einem Weltmarktanteil von 75 % für die Marke 
Lenzing Modal®. Im Zuge der laufenden Globalisierung wurden Lenzing Modal® FasernLenzing Modal®. Diesen Erfolg konnte Lenzing nach einem schwachen Start der Modalfasern in den 1960-er Jahren durch eine intensive Bearbeitung der Märkte in Japan und Taiwan während er 1990-er Jahre erreichen. Dabei gelang es sogar, die dort vorher sehr beliebte hochwertigen Polynosic-Faser völlig zu verdrängen, was zum Produktionsstop für dieses Konkurrenzproduktes aus Zellulose führte.

Wählt man als Lösungsmittel N-Methylmorpholin-N-oxid Monohydrat (NMO), lässt sich die Viskose-Modifikation Lycocell erzeugen, die unter dem Markennamen Tencel® im Handel ist. Auch sie wird seit 1990 von der österreichischen Lenzing AG produziert und verkauft.

Die inzwischen erreichte Marktstellung von Lenzng auch bei Lycocell, das inzwischen unter dem Markennamen Tencel® vertrieben wird, ist nicht ausschließlich auf die Erfolge der Chemiker in Österreich, sondern auf geschickte Zukäufe zurückzuführen. Das Lösungsmittel wurde ursprünglich von Forschern des niederländischen Akzo-Konzerns entdeckt. Dessen Tochter American ENKA war nach jahrelangen Forschung dann jedoch an keiner Prduktionaufnahme interessiert. Die erste Verwertung der Patente erfolgte daher zunächst durch durch Lenzings Mitbewerber Courtaulds.

Nach der Entdeckung des Lösungsmittels konzentrierten sch die Forscher auf die Rückgewinnung des teuren Lösungsmittels NMMO in einem geschlossenen Verfahrenskreislauf; denn ohne Rückgewinnungsraten von weit über 90% wäre eine wirtschaftliche Faserproduktion nicht rentabel gewesen. Die inzwischen von Lenzing erreichte Rate von 99,8 % macht die Herstellung von Lyczell inzwischen besonders umweltfreundlich.

Eine dramatische Wende erfuhr der Markt für Lyocellfasern 2004, als Lenzing die Tencel-Aktivitäten seines ehemaligen Erzrivalen Courtaulds kaufte. Durch die Bündelung des Know-hows und die Zusammenlegung der teuren Weiterentwicklung der Faser konnten die Fixkosten erheblich gesenkt werden, wodurch sich die Lycocellfasen güntiger anbieten ließen. Damit konnten neue Kunden gewonnen werden und Tencell
® erzielte endlich durchgreifende Erfolge.

Diese neue Faser wird von Lenzing vor allem mit ökologischen Argumenten beworben. Danach ist Tencel nach Angaben des Herstellers eine "Wohlfühlfaser für Geist und Körper", da "die Faserherstellung selbst .. aufgrund eines geschlossenen Kreislaufes besonders umweltfreundlich" ist. 

Lenzing selbst glaubt daher, dass mit der Erfindung dieser CCM "ein neues Kapitel in der Fasergeschichte aufgeschlagen" wurde. Der Grund für diese Einschätzung sind die Vorteile der Faser gegenüber den klassischen Naturfasern, die ebenfalls als Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen ökologische Vorteile gegenüber Chemiefasern besitzen; denn "Materialien aus Tencel® sind saugfähiger als Baumwolle, sanfter als Seide und kühler als Leinen."

Dank dieser Eigenschaften verwendet man Lycocell bzw. TENCEL® heute häufig bei der Herstellung von Blusen, Unterrockfutter, Kleidern oder Unterwäsche.


(Die Fortsetzung folgt hier)